Kulturkampf ohne Alternative? – HUch #97

|Jonas Stutz|

Was kann den Siegeszug der politischen Rechten aktuell aufhalten? Die Alternativlosigkeit des Neoliberalismus muss als Wegbereiter des Rechtspopulismus verstanden werden. Dagegen braucht es eine Linke, die sich vom Kulturkampf verabschiedet und die Klassenfrage neu belebt.

Derzeit versinken viele Versuche linker Taktik im Nebel des sogenannten Kulturkampfes. Dieser Begriff wird ins Spiel gebracht, um politischen Gegner_innen vorzuwerfen, sie würden den Menschen vorschreiben, wie diese zu leben hätten. Gendern, Cancel Culture, Fleisch-, Diesel- und Heizungsverbot – alle politischen Konflikte werden so als Fragen des Lebensstils kulturalisiert. Auf diese Art und Weise muss nicht über ökonomische Ungleichheit, sondern nur über den richtigen Lebensstil gestritten werden. Im radikalen Auftreten der Rechten zeigt sich die schrittweise Hegemonisierung nach rechts. Als Feindbild imaginieren sie eine akademisch-kosmopolitische Elite, die dem Volk aus einfachen Männern und Frauen ihren Lebensstil aufzwingen will – sozusagen die Vorstellung von links-grünen Kulturkämpfer_innen. Teile der Konservativen ahmen die Deutungsmuster der Rechtspopulist_innen dankend nach.

Kritik am von rechter Seite  imaginierten Kulturkampf erhebt sich allerdings auch von links. Thematisiert wird unter anderem, warum Arbeiter_innen sich verstärkt von linken Parteien abwenden.1 Eine Antwort darauf liefern einige, indem sie in queerfeministischer oder migrantischer Identitätspolitik die Zersetzung der Arbeiterbewegung sehen. Lohnabhängigen wird eine Bekennung zu traditionellen Werten zugeschrieben: Dem gegenüber sei die linke Politik der letzten Jahrzehnte das Projekt einer „kulturellen Elite“ geworden. Die identitätspolitischen Interessen einer Minderheit würden dabei die einfachen Werktätigen von linken Organisationen fernhalten. Eine herbeifantasierte Machtelite soll also die Schuld am Rechtspopulismus tragen, durch den die rechten Ideen einer kulturellen Fremdbestimmung bestätigt werden. Statt neue Perspektiven aufzumachen, nutzt diese vereinfachte Kritik die Mittel des rechten Kulturkampfes, wie sich an ihrer prominentesten Vertreterin Sahra Wagenknecht zeigt.2 Ihre Politik ist nichts anderes als ein Angriff auf das Projekt einer emanzipatorischen Linken, die sowohl gegen die Ausbeutung der Massen als auch gegen Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit kämpft. Wagenknecht inszeniert den Kulturkampf im Sinne einer Querfront: Als Ergebnis zeigt sich im Grunde nicht mehr als eine links-rechts-verschwurbelte Position. Ein Ausweg ist das nicht – sondern vielmehr ein Ausdruck der Kapitulation gegenüber den Rechtspopulist_innen.

Die gesellschaftliche Krise der Linken

Am Ausgangspunkt einer materialistischen Kritik steht die neoliberale Entwicklung in fast allen reichen Staaten seit den 1980er Jahren. In der BRD nahm der Neoliberalismus vor allem mit den 2000er Jahren an Fahrt auf und dominiert seitdem die wirtschaftliche Entwicklung. Ziel neoliberaler Politik ist es, bei zunehmender Globalisierung die Beschäftigungsverhältnisse unsicherer zu gestalten. Der Abbau sozialer Sicherungssysteme und die Schaffung eines massiven Niedriglohnsektors3 sollten Arbeitsanreize steigern und somit Wirtschaftswachstum generieren. Mit anderen Worten: Man etabliert ein Arbeitsmarktregime zur Disziplinierung der Lohnabhängigen, das auf Unsicherheit baut und Angst vor dem sozialen Abstieg schafft. Nationale Wettbewerbsfähigkeit, also eine Sicherung der Profite, wurde mit der Entsicherung der Lohnarbeit erkauft. Im Zuge dessen nahmen prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu, während der durchschnittliche Reallohn die letzten zehn Jahre stagnierte.4 So gut wie alle etablierten Parteien von Mitte-Rechts bis Mitte-Links beteiligten sich an der Etablierung des Neoliberalismus als vorherrschenden ideologischen Rahmen politischer und gesellschaftlicher Probleme.

Bisher gut gesicherte Facharbeiter_innen befinden sich nun in einem Konkurrenzverhältnis zu Arbeiter_innen in schlechter bezahlten Jobs. Gleichzeitig verlieren betriebliche Mitbestimmung und Arbeitsverträge nach Tarifvertrag ihren Normalitätsstatus. Die 1950er bis 1970er Jahre waren dabei noch Jahrzehnte des institutionalisierten Klassenkompromisses: Gewerkschaften und SPD ließen ihr revolutionäres Potential fallen, als im Gegenzug die Unternehmen höhere Löhne zahlten. Zusammen mit staatlichen Sozialleistungen stieg so der Lebensstandard der meisten Arbeiter_innen auf ein nie gekanntes Niveau. Das kollektive Aufstiegsversprechen findet im neoliberalen Kapitalismus ein Ende: Für lohnabhängige Arbeiter_innen begann das neue Jahrtausend als eins der Prekarität. All dies reiht sich in eine zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit der westlichen Staaten ein, die ihren Anfang in den 1980er Jahren zeitgleich zur Neoliberalisierung nahm.5

Doch gerade in der Zeit, wo die Belastungen für viele Lohnabhängige zunehmen und Aufstiegsversprechen zur Farce werden, verliert die „klassische“ Linke, in Form von beispielsweise der Linkspartei oder Gewerkschaften, mehr und mehr an gesellschaftlicher Relevanz. Bestehende Klassenkonflikte werden immer seltener im öffentlich-politischen Diskurs veräußert. Für dieses Nebeneinander nutzt der Arbeitssoziologe Klaus Dörre den Begriff der „demobilisierte Klassengesellschaft“6: Ein ideologisches Deutungsmuster, das die Ungerechtigkeiten, mit denen eine Klasse von Lohnabhängigen konfrontiert ist, als politisch ernsthaft und medial wirksam darstellt, gibt es nicht mehr. Die Sorgen und Konflikte, die Lohnabhängige im Betrieb und in der Klassengesellschaft erfahren, bestehen zwar weiterhin, werden aber auf politischer Ebene nicht repräsentiert.

Aber was ist mit den Parteien und Gewerkschaften, die sich in der Vergangenheit als Vertreter der Interessen der Arbeiter_innen gegen das Profitstreben des Kapitals stellten? Heute fehlt ihnen zu großem Teil die nötige Verankerung in der Zivilgesellschaft. Andere wiederum haben längst eine versöhnliche Haltung zur ökonomischen Elite eingenommen – oder waren selbst Wegbereiter der neoliberalen Umstrukturierung.

Im Alltag des neoliberalen Kapitalismus machen Industriefacharbeiter_innen die Erfahrung, dass ihre ehemals anerkannte Position an Wert und Sicherheit verliert. In dieser Situation wird das Erstarken rechten Gedankenguts bei Arbeiter-innen wahrscheinlicher – insbesondere in strukturschwachen Regionen, wie beispielsweise großen Teilen Ostdeutschlands, und industriellen Branchen mit Wachstumsschwächen. Reale Verteilungskonflikte bewirken dabei aber nicht zwangsläufig eine Kritik an der besitzenden Klasse und Solidarität zwischen allen Arbeiter_innen. Die wahrgenommene Abwertung der eigenen Position kann sich schnell in eine exklusive Solidarität unter Ausschluss von Migrant_innen oder Arbeitslosen wenden. Dörre beschreibt diese Tendenz zur Klassenspaltung so: „Sofern im Alltagsbewusstsein der Menschen, die zu den beherrschten Klassen gehören, die Orientierungen fehlen, die mobilisierte Kollektive hervorbringen könnten, wirken Klassenverhältnisse im Modus der Konkurrenz, infolge einer permanenten Scheidung in Gewinner und Verlierer sowie mittels kollektiver Auf- und Abwertungen.“7 Vereinfacht gesagt, in der demobilisierten Klassengesellschaft wird nach unten und nicht nach oben getreten. So hat der Rassismus der populistischen und völkischen Rechten es leichter, auf Sympathien in der Bevölkerung zu stoßen.

Industriearbeiter_innen pauschal einen Rechtsruck zu unterstellen wäre falsch. Wie Linda Beck und Linus Westheuser8 zeigen, regt sich in ihnen ein vages Gefühl für ihre abhängige Rolle gegenüber dem Kapital. Viele der von ihnen interviewten Arbeiter_innen äußern sich abfällig gegenüber den Manager_innen ihrer Unternehmen, kritisieren eine zunehmende ökonomische Ungleichheit und Machtgefälle zwischen denen „da oben“ und den „einfachen Leuten“. Die alltägliche Ungleichheitskritik von Lohnarbeiter_innen besteht aus verschiedenen Aspekten, die nicht unbedingt einheitlich ideologisch zuordenbar sind. Neben einer Kritik an ökonomischer Ungleichheit, Leistungsdruck, Profitstreben und einer Haltung gegen den Staat als Vertreter einer reichen Elite sieht man sich selbst als Teil eines sozialen Untens. Andere Muster der Arbeiter_innenkritik äußern sich als „reaktives Unrechtsbewusstsein“. Die gesellschaftliche Verteilung von Geld, Leistungsansprüchen und Anerkennung gerät in einen Gegensatz zur Legitimitätsvorstellung, die sich an einem Leistungsprinzip orientiert. Menschen in mächtigen Positionen werden als Gefährder_innen dieser Leistungsgerechtigkeit zum spontanen Kontrastbild der eigenen Existenz.

Mit einem solchen Ungerechtigkeitsbewusstsein kommt oft die Erkenntnis, alleine nicht in der Position zu sein, die Verhältnisse  verändern zu können. Es folgt politische Apathie. Im gleichen Zuge werden Migrant_innen und Arbeitslose als Personen gesehen, die ungerechtfertigte staatliche Leistungen beanspruchen und diese Leistungen augenscheinlich auch bewilligt bekommen. Rechte Ideologien, die dem homogenen, arbeitsamen Volk eine Gruppe von ausländischen Sozialleistungsbezieher_innen entgegensetzen, können hier leicht an das Alltagbewusstsein der Arbeiter_innen anknüpfen. „Es lässt sich vermuten, dass solche exkludierenden Elemente des Arbeiterbewusstseins an Bedeutung gewinnen, wenn die organisatorische und diskursive Destrukturierung des Klassenkonflikts ein Kernelement der Arbeiterkritik – die Kritik an den Reichen und Besitzenden – politisch heimatlos werden lässt“9, so Westheuser und Beck.

Strategien außerhalb rechten Kulturkampfs

Mit dem marxistischen Philosophen Antonio Gramsci lässt sich von einer „Spontanität“ der subalternen10 Klassen sprechen. Im Alltagsverstand der Massen verankert sich eine Kritik an den Ausbeutungsverhältnissen, aber auch traditionelle Überzeugungen. Ohne ideologische Leitung entstehen spontane gesellschaftliche Bewegungen, die sich am vorhandenen Alltagsverstand orientieren. Gramsci schreibt: „Fast immer geht eine ¸spontane´ Bewegung der subalternen Klassen mit einer reaktionären Bewegung der Rechten der herrschenden Klasse einher aufgrund von zusammenwirkenden Ursachen: eine ökonomische Krise zum Beispiel löst Unzufriedenheit in den subalternen Klassen und spontane Massenbewegungen auf der einen Seite aus, und auf der andern Seite bewirkt sie Komplotte der reaktionären Gruppen, die von der objektiven Schwächung der Regierung profitieren und Staatsstreiche versuchen.“11Deshalb plädiert Gramsci dafür, die spontanen Volksbewegungen nicht einfach als Regung eines falschen Bewusstseins abzutun.

Es braucht eine Linke, die glaubhaft kommuniziert, dass sie die ökonomischen und sozialen Bedingungen, unter denen ein Großteil der arbeitenden Klasse lebt, verbessern kann – und das folglich auch umsetzt. Die Linke darf keine Strategie verfolgen, die den rechten Kulturkampf stärkt, indem sie Anti-Wokeness zum Leitmotiv ihrer Agitation macht. Statt der rechtspopulistischen Volksidentität muss die Linke eine inklusiven Klassenbegriff popularisieren. Am Alltagsbewusstsein der Lohnabhängigen anzusetzen, dabei Menschen direkt als Arbeiter_innen anzusprechen und auf die Gemeinsamkeiten der Interessen von Lohnabhängigen, egal welcher Herkunft und äußeren Zuschreibung, zu verweisen, kann ein Anfang für eine neue Mobilisierung des Klassenkonflikts sein. Denjenigen, die keinen Sinn mehr in demokratischen Beteiligungsformen sehen, kann so wieder Hoffnung für eine soziale Veränderung gemacht werden. Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass vor lauter Uneinigkeit in der generellen Ausrichtung linker Politik es der Linken oft an überzeugenden Strategiekonzepten fehlt. Allerdings zeigen die Erfolge der Kommunistischen Partei Österreichs vorbildhaft, wie ein einst verloren gegangenen Rückhalt in breiten Bevölkerungsschichten wiedererlangt werden kann. 12

Die heutigen und zukünftigen Krisen vergrößern die rechten Protestpotentiale in einer demobilisierten Klassengesellschaft. In Europa steht eine neue Phase der Austeritätspolitik bevor. Genauso bringen die Inflation und Corona viele Arbeiter_innen in materielle Bedrängnis. Apathie und Protest in Ostdeutschland sind geprägt von langjähriger Massenarbeitslosigkeit im Zuge der profitgetriebenen Umstrukturierung zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Eine Transformation zu einem dekarbonisierten Wirtschaftssystem wird hier zu einer echten Gefahr. Wenn Rechte eine gerechtere Klimapolitik im Sinne ihres fantasierten Kulturkampfes attackieren, sollte sich eine strategische Linke um eine soziale Alternative sorgen. Es wäre fatal, dem rechten Protest keine strukturierte Antwort entgegenzusetzen: Die Linke muss die materiellen Ursachen des Rechtspopulismus analysieren, statt sich ihm inhaltlich anzubiedern. Eine linke Bewegung sollte den Kampf jetzt erst Recht mit sozialistischem wie inklusivem Ideal führen. Die Forderung sollte nicht nur sein, privat anfallende Kosten mit staatlichem Geld sozialgerecht zu übernehmen – Arbeitende müssen dabei gestärkt werden, sich die Macht im Produktionsprozess zu erkämpfen. Nur wenn Gewerkschaften, linke Parteien und Bewegungen es schaffen, die Arbeiter_innenkritik in sich aufzunehmen und demnach Politik im Interesse der arbeitenden Klasse zu machen, kann die Mobilisierung von Rechts und ihre steigende Popularität bekämpft werden.

1  https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2021-09-26-BT-DE/umfrage-job.shtml

2 https://www.blick.ch/politik/sahra-wagenknecht-faehrt-linken-an-den-karren-die-lifestyle-linke-schaut-auf-alle-anderen-herab-id18189046.html

3 https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-2/niedriglohnquote.html

4https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/05/PD23_206_62321.html

5  https://wid.world/country/germany/

6 Klaus Dörre (2019): Umkämpfte Globalisierung und soziale Klassen. 20 Thesen für eine demokratische Klassenpolitik. In: Candeias/Dörre/Goes (Hrsg.): Demobilisierte Klassengesellschaft und Potentiale verbindender Klassenpolitik. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung. https://www.rosalux.de/publikation/id/41059/demobilisierte-klassengesellschaft-und-potenziale-verbindender-klassenpolitik/

7 Ebd.: S. 39

8 Linda Beck/Linus Westheuser (2022): Verletzte Ansprüche. Zur Grammatik des politischen Bewusstseins von ArbeiterInnen. In: Berliner Journal für Soziologie 32, S. 279–316. https://link.springer.com/article/10.1007/s11609-022-00470-0#citeas

9 Ebd.: S. 309

10Subalternität hier verstanden als Teil der beherrschten Klassen, insbesondere die Arbeiter_innen, die im Gegensatz zu den herrschenden Klassen keine bestimmende Rolle an der gesellschaftlichen Hegemonie haben.

11 Becker/Candeias/Niggemann/Steckner (Hrsg.) (2013): Gramsci lesen. Einstiege in die Gefängnishefte. Hamburg: Argument, S. 220.

12 Dazu sei auf ein Gespräch zwischen Veronika Bohrn, Fabian Lehr und Ines Schwerdtner über die österreichische Linke verwiesen. https://www.youtube.com/watch?v=YWawmAmF2aI

Keine Uni für Täter – HUch #97

| von HUch-Redaktion & RefRat |

Der anonym veröffentlichte Indymedia-Artikel „Keine Uni für Täter“ 1 benannte am 13.07.2023 Dr. Andreas Kohring vom Lehrstuhl Alte Geschichte erstmalig als mutmaßlichen Täter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wird darin bezichtigt, „die Uni für alle Menschen in seinen Vorlesungen und an seinem Lehrstuhl durch verbale und körperliche sexualisierte Gewalt zur Hölle zu machen“ .2 Diese Vorwürfe und die darauffolgende starke Medienresonanz setzten einen Prozess in Gange, welcher am 30.08.2023 darin gipfelte, dass Andreas Kohring offiziell gekündigt wurde. 

Der RefRat arbeitete dafür intensiv mit den Betroffenen wie auch der Universitätsleitung zusammen, um den Schutz Studierender vor weiterem potentiellen Machtmissbrauch seinerseits zu gewährleisten. Die HUch-Redaktion solidarisiert sich mit allen Betroffenen und findet es richtig, dass dieser längst überfällige Schritt seitens der Universitätsleitung getätigt wurde. 

Zur Einordnung der Ereignisse veröffentlichen wir die Stellungnahme des RefRats vom 24.07.2023, welche näher auf die vorangegangene Chronik und die erfolgte Arbeit der involvierten Referate / der zuständigen AG des RefRats eingeht, wie auch folgende Schritte und Konsequenzen, die der RefRat zieht, beleuchtet. 

Da der Indymedia-Artikel auch den Referent_innen vorwirft, nicht hinreichend Maßnahmen ergriffen zu haben, um Betroffene zu schützen, möchten wir diese Kritik mittels der zusätzlichen Informationen, die die Stellungnahme des RefRats aufbereitet, in das entsprechende Verhältnis setzen. Gleichzeitig sind wir dem Kollektiv, das die anonyme Veröffentlichung auf Indymedia initiierte, dankbar für alle Kritik und selbstverständlich auch für den Prozess, den sie damit angestoßen haben. 

(Gekürzte) Stellungnahme des RefRats

Content Note: sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch

Der RefRat arbeitet in Form einer Arbeitsgemeinschaft bereits seit April diesen Jahres gemeinsam mit der FSI Geschichte und deren Awareness-Team zur Aufarbeitung von Vorwürfen der sexualisierten Gewalt am Institut für Geschichte. Wir nahmen dabei die Funktion einer beratenden sowie vermittelnden Stelle ein — führten Gespräche mit dem Uni-Präsidium, boten rechtliche Beratung an und versuchten gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten und insbesondere bereits Betroffene funktionieren würden. 

Uns ist es wichtig, dass sich Betroffene jederzeit vertraulich an uns wenden können. Deshalb stand für uns und die Fachschaft der Schutz der Betroffenen an erster Stelle. Diesen Schutz konnten wir bei einer vorschnellen Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleisten. Aus diesem Grund — und auch, weil sich teilweise Verbesserungen in der Situation am Institut abzeichnete — entschieden wir uns gegen eine Veröffentlichung. 

Eine dieser Verbesserungen war die Einführung einer Sechs-Augen-Regel, nach der Sprechstunden mit Dr. Kohring nur noch online und in Anwesenheit der Frauenbeauftragten Prof. Birgit Aschmann durchgeführt werden sollten. Diese Maßnahme war weder ausreichend, noch wurde sie ausnahmslos eingehalten. Trotz der Vereinbarung wurden uns Fälle gemeldet, in denen Dr. Kohring wieder allein mit Studierenden sprach. Selbst unter der Voraussetzung, dass die Umsetzung flächendeckend, gewissenhaft und umfassend stattgefunden hätte, bleibt festzustellen, dass die Begrenzung von Sprechstunden eine unzureichende und absurde Maßnahme bei einem, wie es auf Indymedia heißt, „bekanntermaßen sexistischen Dozenten“ ist. Wenn sich jemand vermehrt verbal und physisch übergriffig verhält, wie es Andreas Kohring getan haben soll, ist davon auszugehen, dass Barrieren wie diese Regel umgangen werden. 

Für uns ist und war klar: Dozierenden, die sich übergriffig verhalten haben, muss ihre Machtposition umfassend entzogen werden. Dies ist umso wichtiger bei Dozierenden, bei denen diese Übergriffigkeiten ein seit Jahrzehnten anhaltendes Vorgehen sein soll. Den Zugriff eines übergriffigen Dozenten auf Studierende lediglich zu reduzieren, kommt gleichbedeutend mit der Akzeptanz, dass weitere Personen von Grenzüberschreitungen betroffen werden. Es tut uns leid, dass wir unserer Verantwortung nicht nachgekommen sind, Studierende ausreichend zu schützen. Das Brechen des Schweigens möchten wir aber auch als Chance verstehen: Die Aufarbeitung beginnt und endet nicht mit diesem Indymedia-Artikel. Wir wissen, dass die Universität für viele marginalisierte Menschen, und speziell Studierende und Mitarbeitende mit Sexismus-Erfahrungen, kein sicherer Ort ist. Sei es, wie kürzlich geschehen, dass auf der Party einer (anderen) Fachschaft K.O.-Tropfen in Getränke geschüttet werden, und sich die Fachschaft sämtlicher Verantwortung entzieht, nur um anschließend erneut Veranstaltungen ohne Awareness-Konzept durchzuführen, oder, dass Dozierende sich in Vorlesungen ungehindert und unwidersprochen sexistisch, trans*feindlich und rassistisch äußern können: Wir wissen von genügend Fällen, in welchen Personen in Machtposition innerhalb der Universität mal subtiler, mal weniger subtil grenzüberschreitend aktiv waren. Viel zu oft wird den Betroffenen von verantwortlichen Stellen kein Gehör geschenkt und die Verantwortlichkeit von sich geschoben. Dass die Unversitätsleitung, mehrere Generationen von Instituts- und Fakultätsleitungen, verschiedenste Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte — wie auch im sogenannten „Komplex Andreas Kohring“ — Bescheid wissen, ist dabei nicht die Ausnahme. 

In Gesprächen mit Studierenden aus dem Fachbereich wurde uns berichtet, dass die ersten kritischen Anmerkungen seitens der Studierendenschaft in der Causa Kohring bereits im Sommersemester 1997 im Rahmen von Evaluationen registriert worden seien. Erst zehn Jahre später sei dann sein unfreiwilliger Rücktritt als Studiendekan erfolgt. Auslöser soll eine Abmahnung wegen sexueller Belästigung durch den damaligen Präsidenten der HU, Christoph Markschies, gewesen sein. Als Dozent behielt man ihn trotzdem. 

Übergriffe wie solche, die Andreas Kohring vorgeworfen werden, finden dabei nicht im luftleeren Raum statt. Universitäten, wie auch die HU, schaffen einen Raum in dem Täter geschützt werden, indem ihnen Macht verliehen wird und sie ohne jegliche Kontrollinstanzen unhinterfragt mit dieser umgehen können. Universitäten sind dabei in einem besonderen Maße anfällig dafür, Machtstrukturen wie diese zu verfestigen und aus den entstehenden Übergriffigkeiten in üblicher bürokratischer Manier keine angebrachten Konsequenzen, geschweige denn Präventionsmaßnahmen, abzuleiten. 

Unsere Schlussfolgerungen daraus sind folgende: Wir werden weiterhin Druck auf alle Stellen der Universität ausüben, dass ein „Weiter so“ nicht akzeptabel ist. Wir fordern, dass sich die zuständigen Stellen innerhalb der Universität deutlicher auf die Seite von Betroffenen stellen und in deren Sinne handeln. Es muss deutlich früher und konsequenter eingegriffen werden. Wir werden uns außerdem weiter für die Aufarbeitung bereits gemeldeter Vorfälle, Aufklärung der Vorwürfe seitens der Universität als Arbeitgeberin und die Sensibilisierung von Lehrpersonal und weiteren Universitätsangehörigen einsetzen. Darüber hinaus ist für uns klar, dass auch wir unseren Umgang mit der Situation reflektieren und unsere Arbeitsweise für die Zukunft anpassen müssen. 

Uns ist es wichtig, dass wir weiterhin als Institution verstanden werden, die sich kritisch mit Machthierachien auseinandersetzt. Für Betroffene von sexualisierter Gewalt werden wir auch weiterhin im Sinne der Parteilichkeit und Definitionsmacht agieren. Betroffene können sich jederzeit an den RefRat oder die uns angegliederte Beratungsstruktur wenden. Um uns für die Interessen von Betroffenen sexualisierter Gewalt einzusetzen, sind wir auch bereit, uns inner- und außerhalb der Universität gegen gewaltvolle Strukturen querzustellen.

AnsprechstellenDie Antidiskriminierungsberatung im RefRat: www.refrat.de/adb.html 

Die Landesbeauftragte für Antidiskriminierung: www.berlin.de/sen/lads/beratung/ 

Das Referat für Queer_Feminismus: www.refrat.de/queer_fem.html

1  Vgl. www.de.indymedia.org/node/291714 

2 Ebd.

Vorurteilsfreie Wissenschaft? – HUch #97

| von Louise Hillermann |

Im Zuge der oftmals rassistisch geführten Debatten um Migration und Flucht ist es unerlässlich, sich auch Veröffentlichungen von Wissenschaftler*innen kritisch anzunehmen. Während Studierende der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität versuchen, emanzipatorische Werte hochzuhalten, fällt das Buch eines Dozenten im Kontrast dazu negativ auf.

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„Für die Revolution zu kämpfen ist Liebe“

| von Emilia Stemmler |

Nia2161 hat Wut im Bauch und radikale softness für ihre comrades im Herzen. Im Interview spricht Nia2161 über die Wichtigkeit von space für sich allein, dem Support von organisierten Genoss_innen, und was sich in der Musikindustrie ändern muss, um endlich Raum für revolutionäre, schwarze FLINTA zu machen.

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