Keine Uni für Täter – HUch #97

| von HUch-Redaktion & RefRat |

Der anonym veröffentlichte Indymedia-Artikel „Keine Uni für Täter“ 1 benannte am 13.07.2023 Dr. Andreas Kohring vom Lehrstuhl Alte Geschichte erstmalig als mutmaßlichen Täter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wird darin bezichtigt, „die Uni für alle Menschen in seinen Vorlesungen und an seinem Lehrstuhl durch verbale und körperliche sexualisierte Gewalt zur Hölle zu machen“ .2 Diese Vorwürfe und die darauffolgende starke Medienresonanz setzten einen Prozess in Gange, welcher am 30.08.2023 darin gipfelte, dass Andreas Kohring offiziell gekündigt wurde. 

Der RefRat arbeitete dafür intensiv mit den Betroffenen wie auch der Universitätsleitung zusammen, um den Schutz Studierender vor weiterem potentiellen Machtmissbrauch seinerseits zu gewährleisten. Die HUch-Redaktion solidarisiert sich mit allen Betroffenen und findet es richtig, dass dieser längst überfällige Schritt seitens der Universitätsleitung getätigt wurde. 

Zur Einordnung der Ereignisse veröffentlichen wir die Stellungnahme des RefRats vom 24.07.2023, welche näher auf die vorangegangene Chronik und die erfolgte Arbeit der involvierten Referate / der zuständigen AG des RefRats eingeht, wie auch folgende Schritte und Konsequenzen, die der RefRat zieht, beleuchtet. 

Da der Indymedia-Artikel auch den Referent_innen vorwirft, nicht hinreichend Maßnahmen ergriffen zu haben, um Betroffene zu schützen, möchten wir diese Kritik mittels der zusätzlichen Informationen, die die Stellungnahme des RefRats aufbereitet, in das entsprechende Verhältnis setzen. Gleichzeitig sind wir dem Kollektiv, das die anonyme Veröffentlichung auf Indymedia initiierte, dankbar für alle Kritik und selbstverständlich auch für den Prozess, den sie damit angestoßen haben. 

(Gekürzte) Stellungnahme des RefRats

Content Note: sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch

Der RefRat arbeitet in Form einer Arbeitsgemeinschaft bereits seit April diesen Jahres gemeinsam mit der FSI Geschichte und deren Awareness-Team zur Aufarbeitung von Vorwürfen der sexualisierten Gewalt am Institut für Geschichte. Wir nahmen dabei die Funktion einer beratenden sowie vermittelnden Stelle ein — führten Gespräche mit dem Uni-Präsidium, boten rechtliche Beratung an und versuchten gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten und insbesondere bereits Betroffene funktionieren würden. 

Uns ist es wichtig, dass sich Betroffene jederzeit vertraulich an uns wenden können. Deshalb stand für uns und die Fachschaft der Schutz der Betroffenen an erster Stelle. Diesen Schutz konnten wir bei einer vorschnellen Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleisten. Aus diesem Grund — und auch, weil sich teilweise Verbesserungen in der Situation am Institut abzeichnete — entschieden wir uns gegen eine Veröffentlichung. 

Eine dieser Verbesserungen war die Einführung einer Sechs-Augen-Regel, nach der Sprechstunden mit Dr. Kohring nur noch online und in Anwesenheit der Frauenbeauftragten Prof. Birgit Aschmann durchgeführt werden sollten. Diese Maßnahme war weder ausreichend, noch wurde sie ausnahmslos eingehalten. Trotz der Vereinbarung wurden uns Fälle gemeldet, in denen Dr. Kohring wieder allein mit Studierenden sprach. Selbst unter der Voraussetzung, dass die Umsetzung flächendeckend, gewissenhaft und umfassend stattgefunden hätte, bleibt festzustellen, dass die Begrenzung von Sprechstunden eine unzureichende und absurde Maßnahme bei einem, wie es auf Indymedia heißt, „bekanntermaßen sexistischen Dozenten“ ist. Wenn sich jemand vermehrt verbal und physisch übergriffig verhält, wie es Andreas Kohring getan haben soll, ist davon auszugehen, dass Barrieren wie diese Regel umgangen werden. 

Für uns ist und war klar: Dozierenden, die sich übergriffig verhalten haben, muss ihre Machtposition umfassend entzogen werden. Dies ist umso wichtiger bei Dozierenden, bei denen diese Übergriffigkeiten ein seit Jahrzehnten anhaltendes Vorgehen sein soll. Den Zugriff eines übergriffigen Dozenten auf Studierende lediglich zu reduzieren, kommt gleichbedeutend mit der Akzeptanz, dass weitere Personen von Grenzüberschreitungen betroffen werden. Es tut uns leid, dass wir unserer Verantwortung nicht nachgekommen sind, Studierende ausreichend zu schützen. Das Brechen des Schweigens möchten wir aber auch als Chance verstehen: Die Aufarbeitung beginnt und endet nicht mit diesem Indymedia-Artikel. Wir wissen, dass die Universität für viele marginalisierte Menschen, und speziell Studierende und Mitarbeitende mit Sexismus-Erfahrungen, kein sicherer Ort ist. Sei es, wie kürzlich geschehen, dass auf der Party einer (anderen) Fachschaft K.O.-Tropfen in Getränke geschüttet werden, und sich die Fachschaft sämtlicher Verantwortung entzieht, nur um anschließend erneut Veranstaltungen ohne Awareness-Konzept durchzuführen, oder, dass Dozierende sich in Vorlesungen ungehindert und unwidersprochen sexistisch, trans*feindlich und rassistisch äußern können: Wir wissen von genügend Fällen, in welchen Personen in Machtposition innerhalb der Universität mal subtiler, mal weniger subtil grenzüberschreitend aktiv waren. Viel zu oft wird den Betroffenen von verantwortlichen Stellen kein Gehör geschenkt und die Verantwortlichkeit von sich geschoben. Dass die Unversitätsleitung, mehrere Generationen von Instituts- und Fakultätsleitungen, verschiedenste Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte — wie auch im sogenannten „Komplex Andreas Kohring“ — Bescheid wissen, ist dabei nicht die Ausnahme. 

In Gesprächen mit Studierenden aus dem Fachbereich wurde uns berichtet, dass die ersten kritischen Anmerkungen seitens der Studierendenschaft in der Causa Kohring bereits im Sommersemester 1997 im Rahmen von Evaluationen registriert worden seien. Erst zehn Jahre später sei dann sein unfreiwilliger Rücktritt als Studiendekan erfolgt. Auslöser soll eine Abmahnung wegen sexueller Belästigung durch den damaligen Präsidenten der HU, Christoph Markschies, gewesen sein. Als Dozent behielt man ihn trotzdem. 

Übergriffe wie solche, die Andreas Kohring vorgeworfen werden, finden dabei nicht im luftleeren Raum statt. Universitäten, wie auch die HU, schaffen einen Raum in dem Täter geschützt werden, indem ihnen Macht verliehen wird und sie ohne jegliche Kontrollinstanzen unhinterfragt mit dieser umgehen können. Universitäten sind dabei in einem besonderen Maße anfällig dafür, Machtstrukturen wie diese zu verfestigen und aus den entstehenden Übergriffigkeiten in üblicher bürokratischer Manier keine angebrachten Konsequenzen, geschweige denn Präventionsmaßnahmen, abzuleiten. 

Unsere Schlussfolgerungen daraus sind folgende: Wir werden weiterhin Druck auf alle Stellen der Universität ausüben, dass ein „Weiter so“ nicht akzeptabel ist. Wir fordern, dass sich die zuständigen Stellen innerhalb der Universität deutlicher auf die Seite von Betroffenen stellen und in deren Sinne handeln. Es muss deutlich früher und konsequenter eingegriffen werden. Wir werden uns außerdem weiter für die Aufarbeitung bereits gemeldeter Vorfälle, Aufklärung der Vorwürfe seitens der Universität als Arbeitgeberin und die Sensibilisierung von Lehrpersonal und weiteren Universitätsangehörigen einsetzen. Darüber hinaus ist für uns klar, dass auch wir unseren Umgang mit der Situation reflektieren und unsere Arbeitsweise für die Zukunft anpassen müssen. 

Uns ist es wichtig, dass wir weiterhin als Institution verstanden werden, die sich kritisch mit Machthierachien auseinandersetzt. Für Betroffene von sexualisierter Gewalt werden wir auch weiterhin im Sinne der Parteilichkeit und Definitionsmacht agieren. Betroffene können sich jederzeit an den RefRat oder die uns angegliederte Beratungsstruktur wenden. Um uns für die Interessen von Betroffenen sexualisierter Gewalt einzusetzen, sind wir auch bereit, uns inner- und außerhalb der Universität gegen gewaltvolle Strukturen querzustellen.

AnsprechstellenDie Antidiskriminierungsberatung im RefRat: www.refrat.de/adb.html 

Die Landesbeauftragte für Antidiskriminierung: www.berlin.de/sen/lads/beratung/ 

Das Referat für Queer_Feminismus: www.refrat.de/queer_fem.html

1  Vgl. www.de.indymedia.org/node/291714 

2 Ebd.