SUBSTANZ- UND FRAGMENTLOGIK – HUch#95

| Smilja Petrović |

Bild: Ranja Assalhi

I.

gestern hat mir jemand eine kippe

geschenkt, weil ich so bemitleidenswert

aussah. da ist er wieder.

„es gibt kein leben, das besser wäre.“

ich kappe den gedanken, löse ihn auf,

um nicht wieder ins drehkreuz zu

gelangen. um nicht darin zu rennen –

II.

etwas raum zur kontrolle,

pulverförmig, mehr

wollen wir doch gar nicht – doch dann

wieder ganz woanders.

„die präsentationsform ist nicht die

richtige“, sagten sie.

na gut, das weiß ich selber. aber ich

verstehe die formen nicht. was

vielleicht in den nüchternen augen steht

und was sie kommunizieren. das

anordnen –

und dann reden sie wieder so viel.

wo soll das hinführen;

mein gehirn läuft gesteuert, auf antrieb,

die synapsen schießen und trotzdem

ist da

so wenig.

wie kann das funktionieren, buchstaben

zu brechen

in kalten, harten seminarräumen.

das ewige gespräch um das draußen

und die bezüge. ich kann es einfach

nicht mehr hören.

III.

du siehst: die klappen gehen nicht

zu, die roten fäden ziehen sich

nach hinten, zum ort der müdigkeit.

hinter den blutunterlaufenen augen

durchbreche ich die ebenen, renne stetig,

– aber eigentlich müsste ich fallen,

denn da ist säure

unter meinen schuhsohlen;

auf der suche nach dem bedeutungsvoll

großen im innern:

„irgendwo, ganz unten,

muss das richtige doch liegen.“

IV.

die straßen verlaufen fließend wenn

wir uns durch die gassen schleppen und

alles was leuchtet ist zu viel, die

müdigkeit ist grell und warm und wenn

ich glühe

ist sie unertragbar. im dunkeln zerschneiden uns

die blitze der nervosität: das ist der rauch

den wir riechen wenn der reiz

seinen bezug verliert.

die luft wirft sich gegen unsere körper,

bis wir endlich zuhause angekommen sind

und von dort an nur noch leise im bettlaken

zergehen. wenn wir uns selbst in den

boden ziehen und es sich von neuem

anfühlt wie fall und aufprall gleichzeitig.

wenn jede verbindung wegbricht

und alles zum selben sumpf wird

– auch wenn wir

genau das nicht wollten –

weil es uns in diesem moment letztendlich

aber egal geworden ist.

wir wollen das leben, das wir

schauspiel nennen müssen, schließlich

auch nicht beenden.

IV.

ach, verdammt

ich will kein bett der welt, der schlaf

rennt mir hinterher wie

ein gedanke, der sich stetig am

nächsten aufhängt und kettenartig

verläuft, wie ein karussel.

vielleicht bitte ich kafka um hilfe,

vielleicht findet er den prozess,

vielleicht findet er einen anderen

gedanken als den falschen:

„es gibt kein leben, das besser wäre.“

V. was kann die konsequenz bedeuten?

irgendwie müssen wir entkommen

aus diesem kreis –

irgendwie müssen wir uns

das gottverdammte genick brechen.

VII.

epilog

(sie sehen: die klappen gehen nicht zu,

die roten fäden ziehen sich

nach hinten, das ist der verzweifelte ort

der müdigkeit.

es geht darum, uns der profitlogik zu

unterwerfen, um uns notwendig in

schubladen zu stapeln –

wir wollen entkommen, kurzfristig.

aber am nächsten tag geht das karussel

von vorne los. dann ist es egal, was es

bedeutet: es artikuliert sich kein

widerstand im eskapismus, keiner im

phantasma. zu pulver zerrieben wurde

der gleiche, unwürdige alltag; zur norm

gesetzt als genau das, was wir kennen:

das übliche theaterstück.)