There is No Such Thing as Feminist Dissociation – HUch#95

| von Ronja Arndt |

Ottessa Moshfegh versteht es wie keine Zweite, für ein flaues Gefühl beim Lesen ihrer Romane zu sorgen. Das Tabubrechen ihrer meist weißen, cis-weiblichen Protagonistinnen wird häufig mit Feminismus gleichgesetzt – ein fraglicher Schluss.

Bild: Ranja Assalhi

So sehr die Schriftstellerin Ottessa Moshfegh die Nutzung von Social-Media-Plattformen auch ablehnt, das Internet stürzt sich auf alles, was Moshfegh tut. Als im Sommer 2022 ihr neuer Roman Lapvona erschien, wurde dies beinahe von der Neuigkeit, dass Moshfegh ins Depop1-Game eingestiegen war, überschattet: Sie verkaufte Halsketten mit verschließbaren Anhängern, in welchen sich Zettelchen mit kleinen Botschaften wie etwa “I Am My Own Hero” befanden – für bemerkenswert hohe Preise. Was genau mit dieser Aktion bewirkt werden sollte, blieb ungeklärt. Die Spekulationen reichten von einer Promo-Aktion für ihr neues Buch bis hin zu der Vermutung, dass damit vorsorglich ausgeglichen werden sollte, dass Lapvona nicht an die Erfolge der vorigen Bücher anknüpfen können würde, weil es dieses Mal keine weiße cis Frau in ihrer Quarter-Life-Crisis als Protagonistin gibt. Ob Letzteres stimmt oder nicht, sei dahingestellt. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass die Geschichte einer weißen cis Frau Moshfegh bereits zweimal zum Erfolg verholfen hat. Schließlich war es ihr Roman Eileen (2015), der von den letzten Tagen des traurig-makabren Lebens der gleichnamigen Protagonistin kurz vor ihrem Ausbruch aus dem Alltag berichtete, welcher Moshfeghs Durchbruch befeuerte. Eileen spielt mit menschlichen Sehnsüchten, Abgründen wie auch Verlangen und sorgt für ein konstantes Unwohlsein bei Lesenden. Letzteres ist vermutlich das hervorstechendste Markenzeichen Moshfeghs, neben ihrem Talent für präzise Charakterisierungen unliebsamer Erzählender.

My Year of Sleeping Pills and Drug Abuse

Mit My Year of Rest and Relaxation (2018) kam Moshfegh anschließend bei dem an, was als literarischer Mainstream bezeichnet werden kann. Seitdem sind ihre Bücher weder aus Buchhandlungen noch aus feministischen Internetdiskursen wegzudenken.

Die namenlose Erzählerin in My Year of Rest and Relaxation strebt ein Jahr der „Ruhe und Entspannung“ an. Ruhe und Entspannung stehen in ihrem Fall für das Vorhaben, sich ein Jahr lang mit diversen (Schlaf-)Medikamenten aus dem Leben zu schießen, um möglichst viel zu schlafen. Schlaf sieht sie als Möglichkeit an, den Tod ihrer Eltern zu verarbeiten, ohne irgendetwas aufzuarbeiten. Finanziell ist sie dabei mehr als gut aufgestellt, weshalb die Kündigung ihres Jobs in einer Galerie für sie letztendlich kein Hemmnis für ihre Jahresplanung darstellt, sondern diese viel mehr erst umsetzbar werden lässt.

Bereits 2018 erschienen war der Roman vor allem ab dem Frühjahr 2020 während des ersten Corona-Lockdowns auf sämtlichen Social-Media-Plattformen präsent. Dies mag an der Ähnlichkeit des Lebensstils der Zielgruppe mit der Handlung des Buches gelegen haben. So gibt es diejenigen, die ihre Lockdown-Zeit mit einem Buch auf dem Sofa, oder wahlweise auch auf der eigenen Dachterrasse, verbringen und die Stunden an sich vorbeiziehen lassen konnten; sowie Moshfeghs namenlose und gut situierte Protagonistin, die möglichst viel Zeit mit durch Drogen induziertem Schlaf verbringt. Nicht gänzlich unähnlich zu dem stundenlangen Starren auf Bücherseiten für ein praktisches Halluzinieren der Geschichte also. Wer etwas von der eigenen Social-Media-Präsenz hält, hat selbstredend das Lesen des Buches auf diversen Plattformen geteilt und mit Hashtags wie #inmyfleabagera oder auch #dissociativefeminism geteilt.

Fleabag, Feminism and a Fetish for Work

Damit ist die popkulturelle Intertextualität in vollem Gange. Die sogenannte fleabag era bezieht sich auf die preisgekrönte BBC-Serie von Phoebe Waller-Bridges und zeichnet sich durch den Kunstgriff aus, dass die (auch hier namenlose) Protagonistin sich fortwährend an die Zuschauenden richtet, um (selbst-)ironisch das Geschehen zu kommentieren. Diese dissoziativen Momente gehen Hand in Hand mit dem, was Emmeline Clein in ihrem viralen Buzzfeed-Artikel The Smartest Women I Know Are All Dissociating als dissoziativen Feminismus beschreibt. Verzweifeln an den patriarchalen Verhältnissen ist out, Abstumpfung und Eskapismus ist in. Wer unter dem Patriarchat leidet, nimmt dies mit einem Augenzwinkern hin, denn das Wissen um das Patriarchat ist zwar vorhanden, wird aber lediglich selbstironisch mit einem passenden Insta-Filter überzogen. Eine belanglose, mit Drogen gezuckerte Affäre folgt auf die Nächste, begleitet von der ständigen Bestätigung durch Freund_innen mithilfe passender Memes und einer Prise Nihilismus. Es geht nicht darum, sich den aktuellen Zuständen zu widersetzen, sondern vielmehr darum, sich ihnen möglichst ästhetisch zu entziehen.

In My Year of Rest and Relaxation lässt sich der ultimative Eskapismus finden. Dabei bleibt es nicht nur bei dem eigensinnigen Bestreben der Protagonistin, mithilfe von (real existierenden, genauso wie erdachten) Schlafmitteln ein Jahr lang die ultimative Dissoziation durch den Schlaf zu erfahren. Oft erwacht sie, scheinbar ohne Erinnerung an ihr vorheriges Handeln, umgeben von Bestellungen, die sie im weggetretenen Zustand getätigt zu haben scheint. Dies bestärkt nicht gerade das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Erzählerin und es bleibt unklar, wie selbstbestimmt ihr Shoppingrausch tatsächlich ist. Letztendlich ist es auch von wenig Bedeutung, ob es ihr Bewusstsein oder das allseits beliebte Unbewusste ist, welches sie zur Flucht in den Konsum treibt. Denn so oder so bleibt das Ziel, ihrem trostlosen Alltag zu entkommen.

Dabei zeichnet Moshfegh mit dem Ende des Buches deutlich die Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens auf. Es gibt kein Entkommen aus dem kapitalistischen Laufrad: Am Ende hat auch ein Jahr der Dissoziation und des gedankenlosen Konsums nicht die ersehnte Erlösung gebracht. Dies hätte auch bereits zu Beginn klar sein können, so ist es letztendlich nur eine Wiederholung des neoliberalen grind-mindsets2, extrem intensiv aus der Gesellschaft auszusteigen, um anschließend wieder Teil davon werden können.

Escapism, Not Feminism

Dissoziativer Feminismus hat also gar nicht erst die Absicht, die Gesellschaft verändern zu wollen. Die schlanken, weißen cis Frauen, welche die tragenden Rollen in Moshfeghs Geschichte, Fleabag oder etwa auch Sally Rooneys Büchern spielen, flüchten aus ihrer patriarchalen Realität. Ob mit einem Augenzwinkern oder mit Schlafmitteln, es geht stets darum, als Individuum auf die (eigene) Realität klarzukommen. Diese Art Feminismus kann sich auch nur eine gewisse Statusgruppe leisten. So ist es kein Zufall, dass sich die Protagonistinnen bezüglich ihrer Privilegien häufig ähneln; selbst, wenn die Dinge für sie schlecht aussehen, ist klar, dass jeder Schaden sich in einem bestimmten Maß halten wird. Es geht an diesem Punkt nicht darum, so zu tun, als würde das Patriarchat spurlos an der Psyche von weißen cis Frauen vorbeigehen – ganz im Gegenteil. Jedoch sind in diesem Fall nur sie es, die sich eine solch liberale Spielart des Feminismus erlauben können. Dissoziation mag als Coping-Mechanismus für einzelne Personen funktionieren, und wie Clein schreibt, über Memes im Gruppenchat geteilt werden; eine gesellschaftliche Veränderung wird sie nicht herbeiführen.

Mit einer politischen Bewegung hat dissoziativer Feminismus wenig gemein und es stellt sich die Frage, was genau daran eigentlich so feministisch ist. Eine Beförderung der Vereinzelung von Individuen sowie eine zunehmende Gleichgültigkeit, beziehungsweise ein augenzwinkerndes Abtun patriarchaler Gewalt stehen im krassen Kontrast zu feministischen Werten wie Solidarität. Im besten Fall kann dissoziativer Feminismus demnach als eine Abzweigung des (neo-)liberalen Feminismus betrachtet werden, und auch dieser Feminismus steht in der Kritik für seine Exklusivität und dem fehlenden Interesse an einem guten Leben wie alle (neo-)liberalen Abzweigungen von Feminismus.

Darin liegt sowohl die Stärke als auch die Schwäche von My Year of Rest and Relaxation:Moshfegh verdeutlicht, wie aussichtslos der Eskapismus einer gut situierten weißen cis Frau ist, da dieser nie das System an sich zu ändern vermag. Wenngleich der Reiz groß ist, auf diversen Social-Media-Plattformen stolz die eigene Fleabag-Era mit ästhetischen Bildchen zu präsentieren (oder zu idealisieren) und eine Pause der unermüdlichen Kämpfe einzuläuten, so kritisch ist dies zu betrachten. Gefördert durch eine ohnehin individualistische Social-Media-Dynamik vergrößert sich die Gefahr der Vereinzelung. Auch Moshfegh schafft ein anziehendes und zugleich abstoßendes Bild dieser Option und verdeutlicht gleichzeitig, dass sich so kein gesellschaftlicher Wandel herbeiführen lässt.

Aus einer linken, materialistischen Perspektive ist dementsprechend danach zu fragen, wie über die Erkenntnis, dass Eskapismus eine vereinzelnde Option im Warenangebot des Kapitalismus darstellt, hinausgegangen werden kann. Das, was Mosghfegh und andere Autorinnen nicht bieten, sind Ideen hierzu. Dies mag daran liegen, dass auch sie als Teil der sich unermüdlich drehenden Zahnräder des Kapitalismus auf die Verkaufsfähigkeit ihrer Werke angewiesen sind. So sagt Moshfegh selbst in einem Interview über ihren Roman Eileen: „[…] it started out as a fuck-you joke, also I’m broke, also I want to be famous.“3 Jedoch darf nicht an diesem Punkt verweilt werden. Wir müssen uns fragen, wie wir uns von der Ebene eines intellektuellen circle jerks entfernen und der Vereinzelung feministischer Subjekte mit Solidarität entgegenwirken. Wie dies aussehen kann, zeigen Texte wie etwa Leslie Feinbergs Roman Stone Butch Blues. Die Identitätssuche und das Verlangen nach einer Alternative zum Kapitalismus münden hier nicht in Dissoziation. Stattdessen zeigt sich die Kraft, die in einer gemeinsamen Organisierung und der Verbindung von linken Kämpfen liegt.

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1 Bei Depop handelt es sich um eine Internet-Seite zum (Ver-)Kauf von gebrauchter Kleidung, Accesoires und Ähnlichem. In den letzten Jahren wird Depop zunehmend von Influencer_innen genutzt, um zu hohen Preisen ihre eigene und/oder eigens für Depop zum Weiterverkauf angeschaffte Kleidung zu verkaufen.

2 „The mindset that any dream and goal can be achieved by putting 110% effort, working hard, and giving all you have in. Sure some people might have genetic advantages in terms of IQ, physical fitness, etc etc, but anyone can be the top mark of their class, the best in their school’s sport teams, the best guitar player in a band, the greatest with ladies, etc. if they put time and effort and out-work others. Be the first person in the gym when your mates are in bed dreaming, you are making your dream a reality“ lautet die Definition des urban dictionarys zum Begriff grind-mindset und fasst damit die noch immer aktuelle kapitalistische Ideologie des American Dreams zusammen. Online unter: https://www.urbandictionary.com/define.php?term=grindset (letzter Zugriff: 16.11.2022)

3 Paul Laity: Ottessa Moshfegh interview: ‘Eileen started out as a joke – also I’m broke, also I want to be famous’, in: The Guardian, online unter: https://www.theguardian.com/books/2016/sep/16/ottessa-moshfegh-interview-book-started-as-joke-man-booker-prize-shortlist (letzter Zugriff: 16.11.2022).