Abwehr statt Aufbruch – HUch#96

| von Philipp Möller |

Mit der schwarz-roten Koalition droht kein wohnungspolitisches neoliberales Rollback. Der 2016 eingeleitete Aufbruch in Richtung einer progressiven Wohnungspolitik ist aber vorerst gestoppt.

Bild: frieedland

Die sich abzeichnende schwarz-rote Koalition ist eine politische Zäsur für Berlin. Trotz vorhandener Mehrheit für eine Mitte-Links Koalition aus SPD, den Grünen und der Linkspartei, stellte sich die Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gegen eine Weiterführung des bisherigen Bündnisses und schlug ihrem Parteivorstand stattdessen Koalitionsverhandlungen mit der CDU vor. Für diesen Schwenk der SPD-Spitze spielte die Wohnungspolitik eine wichtige Rolle. Giffey ist entschiedene Gegnerin einer Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer, privater Wohnungskonzerne. Unter Giffeys Führung leitete die SPD bereits während der Koalition mit den Grünen und der Linkspartei jenes wohnungspolitische „Rollback“ ein, vor dem viele Initiativen nun angesichts des Regierungswechsels warnen und das sich mit einer schwarz-roten Landesregierung weiter verstetigen könnte. Ein nüchterner Blick auf die Wohnungspolitik der letzten Koalition aus SPD und CDU in Berlin verrät jedoch, dass in den verbleibenden 3 ½ Jahren der Legislatur unter Schwarz-Rot weder umfassende Deregulierungen noch massenhafte Privatisierungen drohen. Der Aufbruch in Richtung einer post-neoliberaler Wohnungspolitik[1][i] ist damit allerdings vorerst gestoppt.

Ende der 2000er Jahre formierte sich in Berlin eine bis heute aktive Mietenbewegung, die die Politik durch stetig wachsende Proteste und die beiden Volksentscheide zur Offenhaltung des Tempelhofer Feldes wie auch zur Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen („Mietenvolksentscheid“) unter Druck setzte. Als Reaktion auf die erstarkende Bewegung und die sich verschärfenden Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt erließ die zwischen 2011 und 2016 regierende schwarz-rote Koalition einige gesetzliche Maßnahmen, um die Mietpreisspirale zu verlangsamen. So führten CDU und SPD etwa die Mietpreisbremse in Berlin ein, die die Neuvermietungsmieten dämpfen soll. Als erste Landesregierung verabschiedeten sie gesetzliche Regelungen (das sog. „Zweckentfremdungsverbotsgesetz“), um leerstehende Wohnungen wieder der Vermietung zu zuführen und die Nutzung von Wohnraum als Ferienapartment zu regulieren.

Immer mehr Bezirke erließen Milieuschutzsatzungen, mit denen luxuriöse und stark mietsteigernde Modernisierungen unterbunden werden können. Erste Baustadträt_innen nutzten das bezirkliche Vorkaufsrecht, womit die Bezirke zur Veräußerung stehende Häuser ankaufen können, um sie vor der Spekulation zu schützen. Genauso übernahm die Stadt nach Jahren des Rückzugs wieder eine aktivere Rolle beim Neubau und nahm den sozialen Wohnungsbau wieder auf, um neue, bezahlbare Wohnungen zu bauen. Selbst beim Kernstück der neoliberalen Wohnungspolitik, der Privatisierung von öffentlichen Wohnungen und Grundstücken, leiteten CDU und SPD eine vorsichtige Kehrtwende ein. Zwar wurden weiterhin einzelne Wohnungen in guten Lagen und Grundstücke privatisiert, ab 2012 jedoch begannen die landeseigenen Wohnungsunternehmen gleichzeitig wieder Wohnungen anzukaufen und neuzubauen. 2016 erließ der Senat sogar eine bis heute gültige „roadmap“ für den weiteren Ausbau der öffentlichen Wohnungsbestände, die bis 2026 um rund 80.000 auf 400.000 Wohnungen anwachsen sollen. Zeitgleich wurde den öffentlichen Unternehmen in einem Kompromiss mit den Initiator_innen des Mietenvolksentscheids wieder mehr soziale Vorgaben für die Vergabe von Wohnungen und den Neubau gemacht, damit Bevölkerungsschichten mit kleinen Einkommen überhaupt noch Chancen haben, eine Wohnung zu finden[ii].

Punktuelle Abkehr vom neoliberalen Paradigma

Nach den Wahlen 2016 bildete sich eine rot-grün-rote Koalition (r2g), wobei die Linkspartei erstmals in der Geschichte Berlins das wichtige Stadtentwicklungsressorts übernahm. Die neue Koalition verschärfte einige der unter der Vorgängerregierung eingeführten Instrumente, wie etwa das Zweckentfremdungsverbot. Gleichzeitig wuchs die Zahl der Milieuschutzgebiete von 2016 bis 2022 deutlich von rund 30 auf stadtweit über 70. Immer häufiger wurde in immer mehr Bezirken das bezirkliche Vorkaufsrecht ausgeübt, wodurch insgesamt knapp 2700 Wohnungen angekauft und für über 9300 Wohnungen eine Abwendungsvereinbarung abgeschlossen wurde. Schließlich kippte das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Praxis im November 2021[iii]. Nach Jahren der neoliberaler Vermarktlichung, die die landeseigenen Wohnungsunternehmen auf gewinnorientierte Geschäftspolitik trimmte und in der erwirtschaftete Überschüsse zur Haushaltsanierung missbraucht wurden, richtete die neue Koalition die landeseigenen Wohnungsunternehmen stärker auf die soziale Wohnraumversorgung aus. Die Mieten in den öffentlichen Beständen wurden weitreichend reguliert und der Kündigungsschutz für Mieter*innen ausgebaut[iv].63% der freiwerdenden Wohnungen müssen die öffentlichen Unternehmen nun an Haushalte mit geringen Einkommen vergeben, und 50% ihrer Neubauten als Sozialwohnungen errichten. Der kommunale Neubau und die Ankäufe von privaten Wohnungsbeständen (sog. Rekommunalisierungen) wurden ausgeweitet, wodurch die öffentlichen Wohnungsbestände seit 2016 um 35.000 auf mittlerweile mehr als 355.000 Wohnungen anwuchsen.

In der kritischen Stadtforschung werden diese Maßnahmen als „punktuelle Abkehr vom neoliberalen Paradigma in der Wohnungspolitik“[v] beschrieben. Im Gegensatz dazu kann die Einführung des sogenannten „Mietendeckels“ im Jahr 2020 als tiefgreifender Paradigmenwechsel hin zu einer post-neoliberalen Wohnungspolitik verstanden werden. Der Mietendeckel bestand aus einem fünfjährigen Mietenstopp sowie der Möglichkeit „überhöhte“ Mieten abzusenken. Im Sinne einer post-neoliberalen Wohnungspolitik drängt er die marktwirtschaftliche Mietpreisbildung zurück und ersetzte sie durch politisch festgesetzte Mietobergrenzen.[vi] Die Folge waren berlinweite Mietsenkungen, bis das Gesetz im April 2021 vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde. Als weiteres post-neoliberales Instrument folgte das Ende 2021 erlassene Umwandlungsverbot[vii], welches die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen[viii] stark erschwert. Seit der Einführung der Verordnung ist das Umwandlungsgeschehen in der Stadt weitgehend zum Erliegen gekommen. Das Umwandlungsverbot schränkt die Verwertungsmöglichkeiten für Wohnraum ein und drängt damit Marktmechanismen zurück. Zusätzlich brachte die Initiative „Deutsche Wohnen und Co – Enteignen“ die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen als ein weiteres post-neoliberales Instrument auf das politische Tableau. Durch die Überführung der Wohnungsbestände in Gemeinwirtschaft sollen die 270.000 betroffenen Wohnungen der privaten Profitmaximierung entzogen und die demokratische Mitbestimmung von Mieter_innen ausgeweitet werden[ix]. Nach einer knapp dreijährigen Kampagne stimmte schließlich eine deutliche Mehrheit von 59,1% der Berliner Wähler_innen im September für den Volksentscheid und besiegelte zumindest im öffentlichen Diskurs endgültig die neoliberale Hegemonie in der Wohnungspolitik.

Kooperation mit Wohnungskonzernen als neues Leitmotiv

Trotz des gewonnenen Volksentscheids und der Neuauflage von r2g war die Wahl 2021 bereits ein erster Wendepunkt für die post-neoliberale Suchbewegung in der Wohnungspolitik. Die SPD eroberte in den Koalitionsverhandlungen das Stadtentwicklungsressorts zurück und berief mit Andreas Geisel einen rechten Sozialdemokraten als Bausenator, der bereits in der schwarz-roten Koalition zwischen 2014 und 2016 in diesem Amt tätig war. Unter dem Leitmotiv einer „Kooperation statt Konfrontation“ betonten Giffey und Geisel ihren Wunsch nach einer engen Zusammenarbeit mit den großen Wohnungskonzernen. Diesem Kurs folgend gründete der Senat Mitte 2022 ein „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ mit Unternehmen und Immobilienverbänden, um mit ihnen freiwillige Selbstverpflichtungen zu vereinbaren, in denen sich die Bündnispartner etwa zu einer gewissen Zurückhaltung bei Mietsteigerungen verpflichten. Nachprüfen lassen sich die Vereinbarungen kaum, da es bislang an einem Monitoring fehlt. Da es sich um freiwillige Selbstverpflichtungen handelt, gibt es auch keine Sanktionsmöglichkeiten, wenn die Konzerne ihre Versprechen nicht einhalten. Das Bündnis verweist auf eine veränderte Logik in der Wohnungspolitik: Statt den Wohnungsmarkt stärker zu regulieren, öffentliche Wohnungsbestände auszuweiten und Marktmechanismen zurückzudrängen, setzt die Politik nun auf eine Kooperation mit der privaten Wohnungswirtschaft, um mit ihnen soziale Zugeständnisse auf freiwilliger Basis zu vereinbaren. Die großen Wohnungskonzerne werden als „Sozialpartner“ und „Teil der Lösung“ adressiert. Damit steht das Bündnis in einem diametralen Gegensatz zur Enteignung und Vergesellschaftung ebenjener Konzerne, für die eine deutliche Mehrheit der Berliner_innen im September 2021 gestimmt hat.

Insofern ist es kaum verwunderlich, dass sich SPD, die Grünen und die Linkspartei nicht auf eine Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne verständigen konnten. Stattdessen verzögerten sie eine finale Entscheidung, indem sie eine Expertenkommission einsetzten, die die bis zum Frühjahr 2023 „Möglichkeiten, Wege, Voraussetzungen“ der Vergesellschaftung prüft[x]. Im Anschluss hätte die Koalition erneut politisch über die Umsetzung entscheiden müssen. Während sich die Linkspartei für die Vergesellschaftung stark machte, trat Giffey bis zuletzt als entschiedene Gegnerin der Vergesellschaftung auf. Der Schwenk auf die schwarz-rote Koalition erleichtert der SPD-Führung nun um eine mögliche politische Zerreißprobe, weil sie den Volksentscheid gemeinsam mit der CDU, die sich ebenfalls gegen Enteignung ausspricht, nun leise beerdigen kann.

Durch die Neuauflage einer schwarz-roten Koalition dürfte das vermeintlich linke Berlin zur Tristesse der bundesdeutschen Politik zurückkehren. Die vorsichtigen Aufbrüche in Richtung einer progressiven Wohnungspolitik, wie sie etwa auch bei der Verkehrs- und Asylpolitik zu beobachten waren, sind damit vorerst gestoppt. Mit Rückblick auf die Legislatur von 2011 bis 2016 ist jedoch von CDU und SPD kein wohnungspolitisches Tabula rasa zu erwarten. Die objektiven Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt in Form steigender Mieten, Verdrängung und eines knappen Angebots von bezahlbaren Wohnungen erzeugen eine politische Ökonomie, in der marktliberale Konzepte aktuell dysfunktional sind.


Begrenzte gesetzliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt und eine aktivere Rolle des Staates beim sozialen Neubau sind unumgänglich, um die massiven sozialen Verwerfungen durch die Wohnungskrise abzumildern und Wahlen zu gewinnen. In dieser Gemengelage gerierte sich selbst die CDU im Wahlkampf als „Mieterpartei“ und übernahm in ihrem Wahlprogramm einige Forderungen nach mehr Marktregulierungen[xi]. Im Sinne einer vermehrten „Kooperation“ mit der Wohnungswirtschaft dürfte schwarz-rot dennoch einige gesetzliche Regulierungen aufweichen und die Wohnungspolitik wieder stärker auf die Interessen privater Investoren zuschneiden. Damit setzt sich jener politische Kurs fort, den der bisherige Bausenator Andreas Geisel bereits in den letzten 1 ½ Jahren einleitete und der allein aufgrund der grünen und linken Koalitionspartner bislang nicht voll zur Geltung kommen konnte. Gleichzeitig scheint ein umfassendes Rollback gar nicht notwendig, weil es r2g nur partiell gelang, einen post-neoliberalen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik durchzusetzen.

Die Mietenbewegung hingegen steht nun vor einer strategischen Neuorientierung. Die Hoffnungen von Teilen der Initiativen, die Vergesellschaftung könnte in einem Zusammenspiel aus Bewegung und senatstragenden Parteien umgesetzt werden, hat sich durch die schwarz-rote Koalition erledigt. Wie es mit dem Volksentscheid weitergeht, ob etwa ein Gesetzesvolksentscheid mit einem ausformulierten Vergesellschaftungsgesetz auf den Weg gebracht wird, bleibt derzeit noch offen. Bereits vor den Wiederholungswahlen flaute die Mietenbewegung merklich ab und mietenpolitische Demonstrationen haben derzeit immer weniger Zulauf. Gleichzeitig erreichen die Mietsteigerungen in Berlin neue Rekordhöhen. Mit CDU und SPD könnte nun erneut eine „Immobilienverwertungskoalition“ mit zahlreichen Verbindungen in die Immobilienwirtschaft die politische Führung übernehmen. Bei ihrem Versuch, den Investoren den roten Teppich auszurollen, scheint es jedoch durchaus denkbar, dass sie auf den Widerstand der organisierten Stadtgesellschaft treffen könnte.


[1] Diese umfasst politische Ansätze, um den Wohnungsmarkt stärker zu regulieren, die politische Verantwortung für eine soziale Wohnraumversorgung gegen private Gewinninteressen durchzusetzen und Wohnraum Marktmechanismen zu entziehen.


[i] Metzger, Joscha/ Schipper, Sebastian (2017): Postneoliberale Strategien für bezahlbaren Wohnraum? Aktuelle wohnungspolitische Ansätze in Frankfurt am Main und Hamburg, In: Schöning, Babara/Kadi, Justin/ Schipper, Sebastian (Hg.): Wohnraum für Alle? Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur, Bielefeld, 231-242.

[ii] Diesselhorst, Jonathan (2018): Wenn stadtpolitische Bewegungen das Terrain des Staates betreten, In: PROKLA 191, 265-282

[iii] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158468.milieuschutz-richter-pulverisieren-vorkaufsrecht.html

[iv] Neuvermietungen dürfen laut Regelungen des Senats maximal 10% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete erfolgen. Mieterhöhungen dürfen maximal 2% betragen, die Nettokaltmieten in öffentlichen Wohnungen dürfen 30% des Haushaltseinkommen von Mieter_innen nicht überschreiten. Während Corona und ab November 2022 wurde im Rahmen des Entlastungspakets auf Landesebene ein einjähriges Kündigungsmoratorium verhängt.

[v] Kadi, Justin/Vollmer, Lisa (2018): Wohnungspolitik in der Krise des Neoliberalismus in Berlin und Wien – Postneoliberaler Paradigmenwechsel oder punktuelle staatliche Beruhigungspolitik?, In: PROKLA 191, 262.

[vi] Möller, Philipp: Der Einstieg zum Ausstieg? Der Berliner Mietendeckel könnte eine post-neoliberale Phase in der Wohnungspolitik einleiten, In: Metzger, P. Philipp: Wohnkonzerne enteignen! Wie Deutsche Wohnen & Co. ein Grundbedürfnis zum Profit machen, Wien, Mandelbaum kritik & utopie.

[vii] Wie das die Verordnung genau funktioniert, kann man hier nachlesen: https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-193-die-umwandlungsbremse-des-%C2%A7-250-baugb-20-fragen-und-antworten.htm

[viii] Umwandlungen sind eine wichtige Verwertungsmöglichkeit für Eigentümer_innen bei der sie die umgewandelten Wohnungen einzeln verkaufen und so horrende Erlöse erzielen können. Gleichzeitig zählen Umwandlungen zu den Motoren der Verdrängung, weil den Bestandsmieter_innen nach Ablauf einer zehnjährigen Frist eine Kündigung wegen Eigenbedarf droht.

[ix] Deutsche Wohnen&Co Enteignen (2022): Wie Vergesellschaftung gelingt: zum Stand der Debatte, Berlin: Parthas Verlag.

[x] https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/

[xi] https://www.cdu-fraktion.berlin.de/image/daten/blog_202210151700_beschluss_positionspapier_ak3_faires_wohnen.pdf