Was sich Kunst und Wissenschaft zu sagen haben – Ein Beziehungstalk – HUch#95

| von Sophie Helena Hübner |

K. und W. lernten sich vor einiger Zeit über einen gemeinsamen Freund kennen, Leonardo. Er war gut darin sie zusammenzubringen. Sie wurden ein Liebespaar. Nach mehreren Krisen trennten sie sich für eine lange Zeit. Sie hatten wenige gemeinsame Freund_innen. Zwar gab es solche, die ihnen in Ihrer Kombination einiges abgewinnen konnten, doch die meisten sahen sie lieber getrennt.

Bis vor ein paar Jahren. Die heutige Beziehung von K. und W. ist von diesem Außen sehr geprägt und immer noch konfliktreich, trotzdem erlebt ihre Beziehung gerade einen erneuten Aufschwung.

Bild: Ranja Assalhi

–Hey. Also, du wolltest reden?

Ja, vielleicht wäre es mal wieder an der Zeit. Denkst du nicht?

–Ich liebe es Verhältnisse zu klären, das weißt du doch.

Okay. Also ich bin noch etwas unsicher.

–Unsicher womit?

Was das Richtige ist.

–Aha. Also… Dann… Kannst du es nicht irgendwie ableiten?

Nein. Es ist komplizierter.

–Diese Ambivalenz und Vieldeutigkeit… ich liebe und hasse es. Eins und eins macht zwei. So schwer kann’s doch nicht sein. Komm schon.

Hör auf zu drängeln. Das stresst mich. Es ist einfach nicht so eindeutig für mich.

–Okay. Was braucht es, damit es eindeutiger wird? Ich könnte dir ein paar Fakten nennen…

Es geht mir aber nicht um Fakten.

–Worum dann?

… Ich fühl’s halt einfach grad nicht.

–Du fühlst es grad nicht?!

Ja. Also… mir fehlt ein bisschen Romantik. Nur so finde ich den ursprünglichen Sinn wieder…1

–What?! Moment mal, das ist jetzt aber ein bisschen sehr überzogen die Kritik. Das ist total irrational, mystifizierend, fast ideologisch…

Ja ok. Du hast recht, ganz so krass meinte ich es nicht. Mit der Romantik… das ist nicht mehr ganz so aktuell eigentlich…

–Ja, glaube auch… Also, aber was braucht es für dich damit du es ‚fühlst‘? Außer der Romantik…

Ich weiß nicht. Dass du mich ernst nimmst vielleicht?

–Ich nehme dich ernst. Du gibst mir total viel, du inspirierst mich und zeigst mir neue Blickwinkel und Sichtweisen. Ich will das alles nicht missen! Aber manchmal fehlt mir eine gewisse Rationalität in unserem Austausch. Du sprichst so oft von individuellen Bedürfnissen und ästhetischen Erfahrungen und bringst dann so viele unberechenbare Komponenten ein, die sich nur um dich drehen.

Ah ja genau, du willst mal wieder alles berechnen können. Sorry, aber ich habe halt noch keine Daten dafür. Es ist eben nicht immer alles so erklärbar wie du dir das vorstellst.

–Ich stelle mir nichts vor, ich forsche und … weiß es dann.

Ich forsche auch!

–Und fühlst es dann?!

Ja manchmal. Manchmal fühle ich auch nicht so viel, sondern weiß es dann danach einfach. Dann sind Dinge für mich logisch.

–Aha und wodurch? Woher ‚weißt‘ du es dann danach?

Weil ich es erlebe. Es wahrnehme. Es fühle. Im Moment. Das schafft Erkenntnis, verstehst du?

–Uff. Jetzt wird’s mal wieder philosophisch, an dem Punkt waren wir so oft. Aber ja … vielleicht verstehe ich dich auch ein bisschen. Ich versuche es zumindest.

Woher weißt du es denn?

–Weil ich es beweisen kann.

Womit?

–Objektiv nachvollziehbaren Ergebnissen.

Aha. Aber was fühlst du?

–… Über uns? Oder generell? Ach, grad ist alles recht anstrengend. Einen Druck schätze ich, von außen. Ständig mehr und genaueres zu wissen.

Ah. Mh. Ich finde es auch oft anstrengend. Dann, wenn ich zum Beispiel schon wieder meine Daseinsberechtigung behaupten muss.

–Oh je. Das klingt furchtbar. Tut mir leid. Dabei bist du die treibende Kraft für so vieles, gesellschaftliche Innovation zum Beispiel.2 Gut für die Wirtschaft auch…

Machst du dich grad über mich lustig?

–Ein bisschen vielleicht. Es fehlt dir zumindest immer noch häufig an den nötigen Beweisen, um ernst genommen zu werden und dein „Form und Inhalt“-Ding3 zieht einfach langsam nicht mehr.

Hallo, nicht vorhandene Gleichberechtigung also… Boah manchmal macht mich dein Bewertungssystem so wütend. Dann denke ich, du verstehst mich einfach nicht und ich verstehe nicht, wie du auf mich blickst. Dann fühle ich mich von dir nur ausgesaugt und missverstanden und ich denke: wie zwei Kulturen, die ein riesiger Ozean trennt!4 Und dann denke ich an 2014 in Wolfsburg „Arts and Science in Motion“5, weißt du noch? Wir sind mittlerweile halt auch so romantisch verwoben.

–Das stimmt, das war cool. Aber wir ticken halt immer noch sehr unterschiedlich, das wird sich wohl nie ändern. Ist das jetzt ein brake up?

Nein. Ich glaube eher… vielleicht müssen wir mal was anderes ausprobieren.

–Schon wieder? Du bist manchmal so schnell. An was denkst du?

Ich glaube, wie wir zusammen sein wollen, sollte wichtiger werden für unsere Verbindung als das, was wir hoffen, herauszubekommen. Mehr geleiteter Rechercheprozess sozusagen. Das Spannungsfeld erkunden zwischen der unmöglichen Darstellung des Richtigen und dem Bewusstsein davon, wie es sein könnte.6

–Erkenntnisgewinn durch Prozess also, mit viel Ästhetik wie ich dich kenne?

Erkenntnisgewinn durch Kritik und Veränderung würde ich sagen.

–Aha. Es wird doch eher politisch…

Beziehung ist immer politisch, Baby.7

–Vielleicht sollten wir uns dieser These mal lieber systematisch widmen, oder nicht?


1 Novalis: Fragmente und Studien 1797-1798. In: Paschek, Carl. (Hrsg.), Reclam: 1986.

2 Henning Mohr: Die Kunst der Innovationsgesellschaft – Kreative Interventionen als Suche nach Neuheit. Berlin: Springer, 2018.

3 Sibylle Anderl: Welche Sprachen spricht die Kunst? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2019, online unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/was-sich-kunst-und-wissenschaft-zu-sagen-haben-16073702.html?premium (letzter Zugriff: 30.01.2021)

4 C. Percy Snow: The Two Cultures and the Scientific Revolution. Cambridge: Cambridge University Press 1959. Deutsche Übersetzung: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz (Versuche; 10). Stuttgart: Klett 1967.

5 Volkswagenstiftung: Forschungsprojekt – Wissenschaft und Kunst in Bewegung. Wolfsburg, 2014. Infos unter: https://www.volkswagenstiftung.de/unsere-foerderung/arts-and-science-in-motion-%E2%80%93-wissenschaft-und-kunst-in-bewegung, (letzter Zugriff: 30.01.2021)

6 W. Theodor Adorno: „Philosophische Terminologie“ In: Elberfeld, Rolf (Hrsg.): Was ist Philosophie? Programmatische Texte von Platon bis Derrida. Stuttgart: Reclam, 2006, S. 213-216.

7 Bini Adamczak: Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und kommende. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2017.