Cedric J. Robinson: Ein Nachruf – HUch#93

| von Kofi Shakur |

Den meisten ist Cedric J. Robinson wahrscheinlich durch sein Buch Black Marxism und das Konzept der Black Radical Tradition bekannt. Doch das Werk des Theoretikers ist weitaus umfassender, als dass diese zwei Begriffe vermuten lassen.

Bild: HUch-Redaktion

»Cedric hat danach gestrebt und war regelmäßig erfolgreich damit, seine Studierenden und die allgemeine Öffentlichkeit mit generativen Arbeiten zu versorgen – seine Schriften und öffentlichen Vorträge versuchten, bisher unzugängliche und/oder anders konfigurierte Räume zu öffnen. In diesem Prozess machte er es für viele von uns möglich, sich ihm auf einer kollektiven Reise anzuschließen, die Akademie zu radikalisieren, Wissen zu demokratisieren und in wie kleinen Schritten auch immer, unsere Menschlichkeit in Leben und Arbeit in dieser prekären und ungerechten Weltordnung wiederherzustellen.«1

1983 veröffentlichte Cedric J. Robinson seine wahrscheinlich bekannteste und einflussreichste Arbeit Black Marxism mit Hilfe des in London ansässigen Verlages Zed Press. Ein auf seiner Dissertation basierendes Buch mit dem Titel The Terms of Order: Political Science and the Myth of Leadership war, ohne große Beachtung zu finden, bereits 1980 bei SUNY Press erschienen. Der Weg dorthin hatte sich allerdings als schwierig erwiesen. Wie Robin D. G. Kelley, Historiker, Autor und Mitherausgeber zahlreicher Bücher zu linker Afro-Amerikanischer Geschichte, in seinem Nachruf auf den Theoretiker schreibt, war die Perspektive Robinsons zu der damaligen Zeit in wissenschaftlichen Kreisen schwer nachvollziehbar. »Als er seine Dissertation einreichte, wusste die Fakultät nicht, was man damit machen solle. Einer nach dem anderen traten Mitglieder seines Komitees zurück und gaben eine mangelnde Fähigkeit, das Werk zu verstehen an.«2 Erst unter der Androhung legaler Schritte wurde seine Arbeit fast vier Jahre später akzeptiert.

Trotz dieser Schwierigkeiten im wissenschaftlichen Diskurs aufgenommen zu werden, ist seine Lehre heutzutage unter progressiven Forscher_innen und Aktivist_innen weit verbreitet: »Verankert in der historischen Dichte Schwarzer Leben, haben Robinsons Lehre und Publikationen einen Eindruck in der Wissenschaft hinterlassen, der von Schwarzem Radikalen Denkern und der Black Radical Tradition zu Racial Capitalism, Polizeigewalt und Schwarzer Repräsentation in Film und Musik reicht.«3 Häufig wird er dabei auf das bereits oben erwähnte Werk Black Marxism reduziert. Dabei ist das praktische Wirken von Robinson sehr viel umfangreicher, und das theoretische Spektrum seiner Ideen sehr viel weiter.

Robinsons Kindheit und Jugend spielten sich ab in der Zeit der zweiten großen Migration Schwarzer und armer weißer Menschen in die Nordstaaten. Er lernte an staatlichen Schulen von Schwarzen Lehrer_innen, die zwar gut ausgebildet waren, aber dennoch die Schranken des segregierten Arbeitsmarktes nicht überwinden konnten. Schließlich war es ihm möglich, die Berkeley High zu besuchen, eine Schule, die wie Kelley feststellt, »einen Ruf für akademische Exzellenz, politischen Radikalismus und Rassismus« hat. Nachdem er sich mangels fehlender Unterstützung für Schwarze Jugendliche selbst an der UC Berkeley eingeschrieben hatte, arbeitete er in dem Café der Studierendengewerkschaft, als Reinigungskraft in Hotels und während der Semesterferien in einer Konservenfabrik, um die Studiengebühren zu bezahlen. Wenn es möglich war, nahm er sich dabei zwischendurch Zeit zum Lesen. Zusammen mit J. Herman Blake, der später Huey P. Newton beim Schreiben seiner Autobiographie Revolutionary Suicide assistierte, leitete er die Campusgruppe der NAACP und machte sich neben seiner akademischen Ausbildung einen Namen als Aktivist.4

Im Laufe der kommenden Jahre kam er in Kontakt mit den Vertreter_innen der Tradition, die er im Rahmen seiner Arbeit vor dem Kontext jahrhundertelanger Schwarzer und afrikanischer Aufstände und Revolutionen als Black Radical Tradition definieren sollte.

So machte er unter anderem die Bekanntschaft von Harry Haywood, eine der bekannteren Personen, wenn es um die Geschichte Schwarzer Kommunist_innen in den USA geht. Begegnungen wie diese entfachten sein Interesse für Schwarzen Antifaschismus, und machten die Auseinandersetzung mit Faschismus vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte zu einem zentralen Thema seiner Arbeiten.5 Daneben etablierte er in einem Klima der politischen Spannung, geprägt von US-Militärinterventionen und ›demokratischen‹ Kriegen, zusammen mit Studierenden der University of California in der Campusradio-Station die Third World News Review (TWNR). Die Sendung bestand von 1980 bis 2015 und lief überdies eine Zeit lang im öffentlichen Fernsehen. »Als TWNR begann, nahmen viele an, es gäbe an der Universität ein Publikum für das Programm. Nachdem es auch im Fernsehen ausgestrahlt wurde und die Moderatoren auf der Straße erkannt wurden, wurde jedoch klar, dass viele Menschen das Bedürfnis nach kritischen Medien hatten. Arbeiter grüßten uns von Radladern herab, Parkplatzwächter fragten nach der Show, fast alle von ihnen wollten mehr wissen«, erinnert sich Robinsons Frau Elizabeth.6 Die beiden hatten sich bei ihrer Arbeit im Alameda Country Prison kennengelernt. Dort hatten sie – im Bewusstsein, dabei in einem anti-Schwarzen Justizsystem zu manövrieren – versucht, transformative Arbeit mit Jugendlichen zu gestalten und im Rahmen der aufkommenden Gefangenenbewegung und der Organisierung der Black Panthers erkannt, dass das Strafrechtssystem unfähig zu jeder Reform ist.7

So wie auch die gängigen Erzählungen in den Medien es oft betonen, hat Cedric J. Robinson besonders die Geschichtsschreibung – auch die marxistische – immer wieder hinterfragt und vielleicht wie niemand vor ihm, die soziale Herkunft des Marxismus selbst in dessen dialektischer Kritik thematisiert. In den Worten Brechts war er ein historischer Materialist, der seine Aufgabe verstanden hat, »die Geschichte gegen den Strich zu bürsten.«8

In diesem Sinne schrieb er: »Was notwendig ist, damit die afrikanische Diaspora ihre historische Bedeutung erkennt, ist eine neue und andere Philosophie und eine neue Theorie der Geschichte.« Man könne sich der europäischen theoretischen Systeme und der Historiographie von Marx, Kropotkin, Nietzsche und Weber bedienen, aber sie müssten auf den Erfahrungen und dem Bewusstsein Schwarzer Menschen aufbauen. »Afrikanische Völker müssen als Produzierende von materiellem und kulturellem Reichtum, von Ideologien und Erkenntnistheorien und als Erzeuger von Geschichte anerkannt werden. Dies kann nur unter unseren eigenen Bedingungen authentisch geschehen. Ich glaube, dass die erste Stufe dieser Entwicklung die Kritik ist.«9

Vor allem in Black Marxism findet sich diese Kritik, die bis an die Wurzeln marxistischer Theorien und Bewegungen reicht. »Was meinte Robinson mit der Black Radical Tradition und warum ist sie jetzt relevant? Entgegen der verbreiteten Ansicht ging es in Black Marxism primär um Schwarze Aufstände, nicht um Racial Capitalism. Robinson stellt Marx und Engels für ihre Unterschätzung der materiellen Kraft rassistischer Ideologie auf das proletarische Bewusstsein zur Rede, und dafür, die englische Arbeiterklasse mit den Arbeitern aller Länder zu verwechseln.«10 Er führte dabei Kämpfe auf drei Schlachtfeldern. Erstens ging es darum, den dominanten Ideen in der europäischen Literatur, die vorgaben und -geben, die afrikanischen Völker (historisch) zu verorten, zu widersprechen. Zweitens wurde die sozialistische intellektuelle Tradition kritisiert, die zu selten ihre eigenen Grundlagen hinterfragt hätte. Zu guter Letzt legte er den Fokus darauf, welche ambivalenten Positionen westlich gebildete Schwarze radikale Intellektuelle bei der Formulierung radikaler Schwarzer Theorien mitbrachten.11

In gewisser Weise nahm Robinsons Denken Diskussionen vorweg, die mit Titeln wie Aijaz Ahmads In Theory: Classes, Nations, Literatures, Kevin Andersons Marx at the Margins, Susan Buck-Morss’ Hegel and Haiti oder Vivek Chibbers Postcolonial Theory and the Spectre of Capital noch Jahrzehnte später geführt wurden und werden. Es wäre jedoch gleichzeitig zu simpel, Robinson einfach in eine Reihe mit anderen zu stellen, deren Werk sich auf den antikolonialen Inhalt des orthodoxen Marxismus konzentriert, da er den Marxismus vielmehr als den Weg betrachtet, auf dem Schwarze Intellektuelle die Black Radical Tradition entdeckt haben: »Black Marxism ist weder marxistisch noch anti-marxistisch. Es ist eine dialektische Kritik des Marxismus, die sich der langen Geschichte Schwarzen Widerstands zuwendet – und Schwarzen Intellektuellen, die sich ebenfalls der Geschichte Schwarzen Widerstands zugewandt haben – um eine komplett neue Theorie der Revolution und Interpretation der Geschichte der modernen Welt zu entwickeln.«12

Robinsons Schriften durchzieht das Bestreben danach, in einer umkämpften Geschichte zwischen Nationalismus, kapitalistischer Rationalität und westlicher Erkenntnistheorie nach einer Perspektive zu suchen, die den vielfältigen Kämpfen der Unterdrückten gerecht wird. Statt Interpretationen, die europäische Modelle auf global-gesellschaftliche Dynamiken übertragen, braucht es eine Erzählung von einem anderen Ausgangspunkt. Doch nicht nur mit Blick auf die Geschichte können wir von Robinson lernen. Er verstand es, ähnlich wie etwa der, als Guerilla-Intellektuelle bezeichnete, Historiker Walter Rodney, trotz seiner Position in der Akademie niemals die sozialen Kämpfe aus den Augen zu verlieren, zu deren Verständnis und für deren Erfolg er sich letzten Endes mit der Geschichte auseinandergesetzt hat.

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1 Cedric J. Robinson: Acknowledgements, in: On Racial Capitalism, Black Internationalism, and Cultures of Resistance, 2019, S. vii. Alle Übersetzungen von der Redaktion.

2 Robin D. G. Kelley: Cedric J. Robinson: the Making of a Black Radical Intellectual, 17.6.2016, online unter: www.counterpunch.org

3 H. L. T. Quan: Introduction: Looking for Grace in Redemption, in: Cedric J. Robinson, 2019: On Racial Capitalism, Black Internationalism, and Cultures of Resistance, S. 1.

4 Kelley: Cedric J. Robinson.

5 Elizabeth Peters Robinson: Preface, in: Cedric J. Robinson 2019: On Racial Capitalism, Black Internationalism, and Cultures of Resistance, S. xvi.

6 Elizabeth Robinson: Twenty-five years of the Third World News Review, in: Race & Class Vol. 47(2), S. 80.

7 Kelley: Cedric J. Robinson.

8 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte, in: Walter Benjamin: Gesammelte Werke, Band I/2, S. 697.

9 C. Robinson: Notes Toward a ›Native‹ Theory of History, in: Cedric J. Robinson 2019: On Racial Capitalism, Black Internationalism, and Cultures of Resistance, S. 22.

10 Robin D. G. Kelley: Why Black Marxism, Why now?, 1.2.2021, online unter: www.bostonreview.net

11 Cedric J. Robinson 2000: Black Marxism: The making of the Black radical tradition, S. 307-308.

12 Kelley: Why Black Marxism, Why now?