Von Affen, Hummern und Incels – HUch#92

| von Kofi Shakur |

Das Internet hat Räume ermöglicht, in denen Maskulinisten Phantasien und Bilder patriarchaler Gewalt austauschen. Sie legitimieren ihre Weltanschauung, indem sie sich mit Tieren vergleichen und fürchten nichts mehr als den Verlust männlicher Privilegien.

Bild: Loup Deflandre

2020 erschienen die ersten Bücher, die sich im deutschen Kontext mit dem bisher vor allem aus der Internetkultur bekannten Phänomen der Incels1 beschäftigen.2 So betrachtet die Journalistin Susanne Kaiser in ihrem Buch Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen die Bewegung der Incels und bettet sie ein in das Konzept der politischen Männlichkeit. Sie bilden bei ihr einen Ausschnitt aus einer breiteren Masse an maskulinistischen und patriarchalen Strömungen, die sie in ihrer männlichkeitskritischen Analyse in Zusammenhang mit männlicher autoritärer Herrschaft bringt, wie sie prominent durch Donald Trump und Jair Bolsonaro verkörpert wird. Veronika Kracher hingegen widmet sich in ihrem Buch Incels mit dem passenden Untertitel Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults voll und ganz den Incels und reißt makropolitische Analysen nur an. Um sich mit den Begriffen, die in den Räumen der Incels geläufig sind, vertraut zu machen, finden Lesende in Krachers Buch ein Glossar, das die gängigsten Konzepte und Begriffe verständlich erklärt. Beide Bücher ergänzend sich perfekt, um sowohl das Phänomen der Incels ausführlich zu analysieren als es auch in einen globalen Zusammenhang unterdrückender männlicher Herrschaft einzubetten.

Kracher und Kaiser erklären dabei zunächst den Weg, den der Begriff und die Incel-Community hinter sich haben. Denn entgegen der heute offen zur Schau gestellten Frauen- und Menschenfeindlichkeit, stand am Anfang »die Idee einer inklusiven Community für Menschen, die aufgrund von sozialen Phobien, Marginalisierung oder psychologischen Problemen keinen Sex hatten und mit ihrer Situation unzufrieden waren«3. Das Internet-Forum Alana’s Involuntary Celibacy Project wurde 1997 von einer queeren Studentin gegründet, die, nachdem sie eine Partnerin gefunden hatte, anderen helfen wollte, ihre Unsicherheiten zu überwinden. Sie wollte vermitteln, dass die Einsamkeit nur vorübergehend sei.

Auch andere Foren legten Wert auf einen hilfsbereiten Umgang miteinander und warnten davor, sich allzu negativen Gefühlen hinzugeben, die Schuld an der empfundenen Einsamkeit auf sich oder andere zu schieben. »Wenn sexuell frustrierte Männer über ihre sexuelle Frustration sprechen, ist Misogynie jedoch nie weit«, so Kracher. »Es ist Teil einer patriarchalen Sozialisation, vermittelt zu bekommen, man hätte ein irgendwie geartetes Recht auf weibliche Aufmerksamkeit«4.

So suchen Incels seit Anfang der 2000er Jahre die Schuld für ihre Lage vor allem bei Frauen, die sich weigern würden, ihnen die verdiente Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Entwicklung steht auch zunehmend unter Einfluss rechter Blogger_innen und dem Publikum immer rechter werdender Imageboards wie 4Chan.

Die Rote Pille

An diesem Punkt kommt die Ideologie der Incels ins Spiel, die auf der sogenannten Blackpill aufbaut, welche wiederum mit der sogenannten Redpill zusammenhängt. Begriffe wie diese machen das Phänomen der Incels für Außenstehende schwer zu verstehen.

Kracher beschreibt die Redpill als eine auf »Antifeminismus, Antisemitismus, Antikommunismus und Rassismus basierende Verschwörungsideologie, welche besagt, dass wir nicht im warenproduzierenden Patriarchat, sondern in einer ›Femokratie‹ leben würden, in der heterosexuelle Männer permanent von Frauen unterdrückt würden. Nur das Schlucken der (metaphorischen) roten Pille lässt einen diese Wahrheit erkennen und den Kampf gegen Feminismus und kulturellen Marxismus aufnehmen«5. Diese Redpill-Verschwörungsideologie ist wiederum oft mit der rassistischen und antisemitischen Verschwörungserzählung des »Großen Austauschs« oder der »Umvolkung« verbunden: Der sogenannte Westen, der als aufgeklärt und überlegen stilisiert wird, soll darin von einem als bedrohlich konstruierten Anderen überrannt werden. Dieses bedrohliche Andere wird dabei wiederum meist muslimischen Menschen, aber auch oft einer imaginierten jüdischen Elite zugeschrieben, die zum Beispiel die Auslöschung Deutschlands planen würde6.

So werden rassistische und antisemitische Ideologien oft mit Sexismus und Misogynie vermischt. Die konstruierte Erzählung lautet dabei wie folgt: Durch den Feminismus und die damit einhergehende Verweichlichung deutscher Männer, die der migrantisierten Konkurrenz nicht gewachsen seien, könne man(n) sich nur wehren, »indem man die ›Rote Pille‹ schluckt, dem Feminismus den Kampf ansagt und seine ursprüngliche, harte Männlichkeit wiederentdeckt«7. Dies versuchen allerhand Gruppen wie Pick-Up-Artists oder Men going their own way aktiv zu praktizieren. Während erstere Frauen objektifizieren, wollen sich letztere so umfassend wie möglich von Frauen isolieren, da sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis wähnen.

Die Schwarze Pille

Incels jedoch gehen oft noch einen Schritt weiter, denn sie haben es aufgegeben, sich in diesem imaginierten Kampf behaupten zu wollen. Sie halten ihren Zustand schlicht für unwiderruflich. An diesem Punkt wird die Redpill zur Blackpill:

»Sich selbst nennen sie entlehnt aus der Evolutionslehre ›Beta-Males‹, die ganz pessimistischen auch ›Deltas‹ oder ›Epsilons‹, in Abgrenzung zum ›Alphamann‹. ›Alpha‹ meint meist das männliche Ideal, einen Mann mit bestem genetischen Material, der bei den Frauen Erfolg hat. Alphas werden auch als ›Chads‹ bezeichnet. In der Incel-Theorie ist der typische Chad ein klischiertes Abbild von einem Mann«8.

Das weibliche Äquivalent des Chad in dieser Verschwörungstheorie ist »Stacy«, eine ebenso durch Klischees definierte, meistens blonde Frau. Das Problem im Ideologiegebilde der Incels: »Obwohl Chads nur 20 Prozent der Männer ausmachen, haben sie die sexuelle Verfügung über ausnahmslos alle Frauen«9.

Da die Incels sich selbst am untersten Ende ihrer Attraktivitätsskala verorten und diese in ihrer Vorstellung für sie genetisch bedingt ist, gibt es für sie in der Regel keinen Ausstieg. Einige versuchen zwar, durch Selbstoptimierung, etwa sogenanntes »Looksmaxxing« oder »Moneymaxxing«, etwas an ihrer konstruierten Situation zu ändern, werden jedoch in den Foren immer wieder darauf hingewiesen, dass sie ihre vermeintlich genetisch ausweglose Lage nicht überwinden können. Manche versuchen, durch Seminare von Pick-Up-Artists an das vermeintliche Geheimnis von sexuellem Erfolg zu gelangen, scheitern jedoch auch mit deren sexistischen Anleitungen10. Daraus folgt schließlich noch mehr Hass auf Frauen, die einem die »rechtmäßige« Aufmerksamkeit verweigern würden und ein noch größerer Minderwertigkeitskomplex gegenüber den sog. Chads, die ihnen die Frauen »wegnehmen« würden. Als letzter realistischer Ausweg bleibt somit das »›Beta Male Uprising‹, das in der Vorstellung der unfreiwillig Enthaltsamen zu einem neuen Gesellschaftssystem führt, in dem sie herrschen und neue Regeln für den Beziehungsmarkt prägen können«11. Der Begriff »government assigned girlfriend« beschreibt dabei die Vorstellung der Incels, dass nach ihrem Aufstand jeder im Sinne einer »gerechten Verteilung« eine Partnerin zugewiesen bekommt. Einige fantasieren auch offen von Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch12.

Lange handelte sich bei Incels in der öffentlichen Wahrnehmung um ein skurriles Internet-Phänomen. Dabei ist ihre Ideologie keine Ausnahme, sondern das Extrem der normalisierten hegemonialen Männlichkeit. »Sie sind als Spitze einer Gesellschaft zu begreifen, in der die Abwertung, Erniedrigung, Ausbeutung und Zerstörung von Frauen Teil des Systems« und übergriffiges Verhalten wie Stalking normalisiert ist und romantisiert wird13, schreibt Veronika Kracher. Immer wieder gelangen dabei misogyne Konzepte wie das der friendzone, die in Räumen der Incels entwickelt oder popularisiert wurden, in die breitere Populärkultur, wo sie dank der vorherrschenden hegemonialen Männlichkeitsdiskurse breiter rezipiert werden.

Beide Bücher schildern auch die Attentate von Alek Minassian und Eliot Roger, der für die Incels als Supreme Gentleman14 bekannt ist. Veronika Kracher widmet der Analyse von Rogers Manifest ein ganzes Kapitel, in dem sie dessen privilegierte Kindheit, sein patriarchales Anspruchsdenken und schließlich seine frauenverachtenden Ansichten durchleuchtet. Er war davon überzeugt, durch seine teure Markenkleidung allein die Aufmerksamkeit von Frauen verdient zu haben. Als diese ausblieb, fing er an, Frauen mehr und mehr zu hassen und für diese »Ungerechtigkeit« ihm gegenüber bestrafen zu wollen. In seinem Manifest kulminierte der Frauenhass in genozidalen Auslöschungsphantasien. Für seinen Anschlag suchte er sich das Haus einer Studentinnenverbindung mit den – seiner Meinung nach – attraktivsten Mitgliedern aus. Mit »going ER« hat Roger zudem einen Begriff geprägt, der als Synonym für die Ausführung eines Attentats dient.

Männlich wie Hummer und Schimpansen

Der Hass auf Frauen ist als Ursache täglicher Gewalt, tödlicher Anschläge und reaktionärer politischer Bewegungen von Politik und Sicherheitsbehörden lange vernachlässigt worden. Mit Verweis auf den Soziologen Michael Kimmel beschreibt Susanne Kaiser einige der Faktoren von Gewalt gegen Frauen in einem Patriarchat in der Krise: »das Gefühl von bedrohter Männlichkeit durch Kontrollverlust und das Empfinden, einen Anspruch auf Gewaltanwendung zu haben«15.

Diese vermeintliche Krise des Patriarchats ist das Ergebnis feministischer Kämpfe, die gegen den massiven Widerstand der Herrschenden über Jahrhunderte ausgefochten wurden und deren Ziele mittlerweile in Ansätzen rudimentär verwirklicht wurden. Kaiser schreibt dazu:

»Einerseits bestehen männliche Privilegien bis heute fort und sind strukturell tief in unserer Gesellschaft verankert; andererseits gerät das Patriarchat ethisch, normativ und diskursiv in Bedrängnis.«16

Männerrechtler eignen sich in dieser Situation bedrohter Privilegien die Rhetorik von Feminist_innen und Antirassist_innen an, um von der imaginierten Position einer unterdrückten Minderheit aus das Recht auf militanten Widerstand für sich zu beanspruchen, mit dem sie sich aus ihrer vermeintlichen Unterdrückung befreien wollen17. Selbst erklärte Männlichkeitsexperten wie Jordan Peterson und Jack Donovan bieten zudem allerhand Vergleiche mit dem Tierreich – genauer mit Bonobos, Schimpansen und Hummern18 –, um zu erklären, wie vermeintlich natürlich männliche Verhaltensweisen und männliche Vorherrschaft aussehen würde19.

Vor allem die Ablehnung der sogenannten »Gender-Ideologie« bietet ein enormes politisches Mobilisierungspotential über das konservative Spektrum hinweg. Rechte Bewegungen machen sich weltweit die Verschränkungen von religiösem Fundamentalismus, Nationalismus, Antisemitismus und Patriarchat zunutze, und bilden breite Allianzen, die durch Antifeminismus und Anti-Genderismus verbunden sind20.

Sowohl Kaiser als auch Kracher bieten wertvolle Erkenntnisse über das Internet als Ort der Vernetzung von Incels, Maskulinisten und anderen Rechten. Krachers Werk könnte im deutschen Sprachraum zu einem Standardwerk für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Incel werden. An einer Stelle wird es befremdlich, wenn sie eine Gruppe wie Men going their own way als »gegen das weibliche Geschlecht gerichtete BDS-Bewegung«21 beschreibt – ein äußerst polemischer Vergleich, der an vielen Stellen hinkt.

Das Buch von Susanne Kaiser hingegen ist weit weniger ausführlich in Bezug auf Incels, doch es kontextualisiert sie innerhalb des patriarchalen Backlashs deutlicher. Allerdings vertritt die Autorin an einigen Stellen Thesen, die der girlboss culture22 zuzuordnen sind und zeichnet allgemein ein sehr positives Bild von den Frauen an der Spitze kapitalistischer Staaten.

Aus beiden Werken geht deutlich hervor, dass auch die ideologischen Grundlagen der extremsten Formen misogyner, homophober und transfeindlicher Gewalt nicht sehr weit von gesellschaftlich und sozial akzeptierten patriarchalen Denkmustern entfernt sind. So ist das mediale und juristische Framing sexistischer Übergriffe und Gewalttaten, die oft die Schuld der Männer auf Frauen und weiblich gelesene Personen projizieren, nur ein weiteres von unzähligen Beispielen, wie versucht wird, ein gesellschaftliches Machtverhältnis zu naturalisieren und dessen Folgen mit vermeintlichen biologischen Ursachen zu entschuldigen. Die Ideologie der Incels setzt also dort an, wo patriarchale Anspruchshaltung bereits besteht, und stützt sich dabei auf ein misogynes Frauenbild, dass politisch und kulturgesellschaftlich weit verbreitet ist.

Ob im Beruf oder im Privaten – wie Männer auf Zurückweisung durch Frauen reagieren, sagt viel darüber aus, was sie in ihrem Denken und Handeln mit Incels verbindet. Konservative und Rechtsextreme haben dabei verstanden, dass sie hegemoniale Formen von Männlichkeit – wie die der Incels – für sich nutzen können, weil diese die Anknüpfungspunkte für ihr politisches Programm bereits in sich tragen. So wird die menschenfeindliche Ideologie der Incels, statt bekämpft zu werden, durch konservative Politiken aus ihrer extremen Position heraus immer weiter in die Gesellschaft hineingetragen, wo sie auf offene Ohren stößt.

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1 Incel ist die Kurzform von involuntary celibate und bedeutet so viel wie ›unfreiwillig zölibatär‹. Der Begriff wird vor allem für misogyne rechte Cis-Männer und Cis-Männergruppen verwendet.

2 El Ouassil, Samira: Zwischen manischer Keuschheit und Hass auf Frauen

3 Kaiser 2021: 25

4 Kracher 2020: 28

5 Ebd.: 249

6 Ebd.: 41

7 Ebd.: 42

8 Kaiser 2021: 27

9 Kracher 2020: 44

10 Ebd.: 30

11 Kaiser 2021: 27

12 Vgl. Kracher 2020: 102

13 Ebd.: 140

14 In seinem Manifest beschrieb sich Roger als Idealtyp eines Gentleman, der es verdient und jedes Recht hätte, alle Aufmerksamkeit von Frauen zu bekommen. Dieses Selbstbild folgt der Inszenierung der Incels als nette Opfer, die unter der Verweigerung von Aufmerksamkeit durch Frauen leiden. Frauen, die Gewalt erfahren, werden so selbst dafür verantwortlich gemacht. Mit seinem Attentat ist Roger zum Vorbild für viele Incels geworden.

15 Kaiser 2021: 107

16 Ebd.: 12

17 Ebd.: 112

18 Männliche Hummer würden aggressiv ihr Territorium verteidigen, bei Versagen drohe ein auf Untergebenheit getrimmtes Gehirn ihr Hauptgehirn aufzulösen und ihnen ein zweites, auf Untergebenheit getrimmtes Gehirn wachsen zu lassen. Obwohl Peterson hier die Biologie als Beleg für seine Thesen nutzen will, werden sie von Biologen als unwissenschaftlich abgelehnt. Für Jack Donovan sind Schimpansen ein Vorbild für Männlichkeit – Bonobos hingegen würden Männlichkeit bedrohen, da diese beiden Affenarten sich jeweils nach den männlichen, bzw. weiblichen Reproduktionsinteressen richten würden. Schimpansen seien hierarchisch organisiert und aggressiv, Bonobos hingegen friedlich. Donovan erklärt dies teils damit, dass die Lebensgrundlage von Bonobos relativ gesichert sei und sie daher nicht jagen müssten. Frieden und Überfluss sind für Donovan daher gefährlich für die Erhaltung der Männlichkeit.

19 Ebd.: 120-140

20 Ebd.: 158

21 Kracher 2020: 42

22 Dabei geht es um Erfolg von Frauen in Institutionen, die bisher männlich dominiert waren – jedoch ohne Ausbeutung und Unterdrückung an sich zu hinterfragen. Der individuelle Aufstieg geht oft zu Lasten anderer (migrantisierter) Frauen.