Unbequeme Beschäftigte – HUch#92

| Interview mit Mo, geführt von Tilman Bärwolff |

Weil er einen Streikaufruf mit Sprühkreide anbrachte, verwehrte die Humboldt-Universität Mo seine Weiterbeschäftigung und später seine Neueinstellung an der Uni. Dagegen klagt er nun vor Gericht. Mit der HUch sprach Mo über seinen Prozess, das Demokratiedefizit an Hochschulen und die Perspektiven gewerkschaftlicher Organisation.

Bild: Loup Deflandre

Kannst du uns etwas zu dir und deiner Tätigkeit an der Universität erzählen?

Ich habe vor knapp zehn Jahren angefangen an der Humboldt-Universität (HU) zu studieren. Zuerst habe ich Informatik studiert und bin dann später zur Evangelischen Theologie gewechselt, wo ich bis heute studiere. Nach ein paar Jahren habe ich angefangen an der Uni zu arbeiten und wurde rechtswidrig1 als »Studentische Hilfskraft« in der IT beschäftigt. Später bin ich dann in den Personalrat der studentischen Beschäftigten (PRstudB) gewählt worden. Dort war ich insgesamt drei Jahre, bis Ende 2018, und bin über diese Zeit immer mehr in das Gremium reingewachsen. Zwischendurch war ich stellvertretender Vorsitzender des Personalrats.

Zum Zeitpunkt der gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen rund um den TV-Stud in den Jahren 2017/18 warst du also sowohl Beschäftigter an der Uni als auch im PRstudB aktiv?

Ja, zu der Zeit war ich schon recht aktiv. Da sich viele aus dem Personalrat stärker im Streik engagiert haben, übernahm ich dort dann auch immer mehr Aufgaben. Zum Streik selbst habe ich eine eher zwiespältige Meinung, habe ihn aber als Beschäftigter natürlich unterstützt und an Streikversammlungen teilgenommen. Nach einer Versammlung während des zweiten Warnstreiks habe ich dann mit einer weiteren Person an der juristischen Fakultät der HU mit Sprühkreide einen Streikaufruf als streikbegleitende Maßnahme angebracht. Da der Aufruf dazu dienen sollte, die Leute zum Streik zu mobilisieren, haben wir ihn direkt am Eingang des Gebäudes angebracht, wo natürlich Leute ein- und ausgingen. Dort hat uns dann eine Person beobachtet und die Polizei gerufen. Wir können nur vermuten, dass es sich dabei um einen Studierenden der Fakultät gehandelt hat, genau wissen wir es nicht. Einige Meter weiter, am Hauptgebäude der HU, wurden wir im Anschluss von der Polizei angehalten. Eine total schräge Situation: Die Polizei ist mit einer vollen Wanne vorgefahren und mehrere Polizist_innen sind uns hinterher marschiert. Diese haben uns dann an die Wand gestellt, angeschrien und erkennungsdienstlich behandelt.

Wie ging es dann weiter und was war die Reaktion der Unileitung?

Bezogen auf die Aktion mit der Sprühkreide brauchte die HU nicht aktiv zu werden, da es sich um ein öffentliches Gebäude handelte. Die Staatsanwaltschaft hat da der HU die Arbeit abgenommen und gegen die Personen, die den Streikaufruf angebracht haben, inklusive mir, ermittelt. Vertreter_innen der technischen Abteilung der HU waren beim Verfahren einer beteiligten Person als Zeug_innen geladen. Bei meinem Verfahren kam es dann aber zu keiner Anklage, es wurde gegen Auflagen eingestellt. Konkret musste ich eine Zahlung für die entstandenen Kosten tätigen und Sozialstunden leisten. Für den Neuanstrich der besprühten Flächen hat die Unileitung eine Rechnung über 700€ produziert, diese Kosten wurden dann unter den Angeklagten aufgeteilt. Damit war die Sache für das Gericht erledigt. Es wurden also weder ein Schaden noch Schuldige rechtskräftig festgestellt.

Interessant ist dabei natürlich, dass wir die Sprühkreide schon vorher entfernt hatten. Mit dem Streikaufruf wollten wir konkret eine Kundgebung am Folgetag bewerben. Nach der Kundgebung haben wir die Sprühkreide, mit einfachsten Mitteln, wieder entfernt. Die Unileitung hat dann einfach jemand anderen dafür bezahlt, die Fläche erneut zu reinigen und nochmal Farbe dranzuklatschten. Diese 700€ sind damit quasi für einen ziemlich unnötigen Neuanstrich ausgegeben worden.

Obwohl du nicht schuldig gesprochen wurdest, hatte der Prozess weitreichende Konsequenzen für dich. Was hat dir die Unileitung hier konkret vorgeworfen?

Nach dem Gerichtsprozess dachte ich natürlich, dass die Sache erledigt wäre. Zu der Zeit war ich immer noch befristet an der HU beschäftigt. Von der Unileitung hatte ich die schriftliche Zusage, dass meine illegale Befristung verlängert werden würde, wenn ich weiter Studierendenstatus habe. Die Unileitung hat lange Zeit illegal Studis bis zum Ablauf der doppelten Regelstudienzeit befristet. Wegen der angeblichen Sachbeschädigung hat die Unileitung aber darauf beharrt, dass sie mich nicht länger beschäftigen will.

Ende 2018 habe ich meine Befristung dann vor Gericht gebracht, allerdings auf der Grundlage, dass ich nicht in dem Tarifbetrag beschäftigt wurde, der für meine Arbeit angemessen gewesen wäre. Es lief dann auf ein Vergleichsangebot heraus: Die Uni musste mir eine Summe bezahlen und dafür habe ich davon abgesehen, das Verfahren weiterzuführen.

Weiter ging es dann im Jahr 2020: Anfang des Jahres habe ich mich an der HU für eine Stelle im CMS beworben, die mir auch eine Einstellungszusage gegeben haben. Die Einstellung wurde aber dann von der Personalabteilung der HU gestoppt, wieder mit dem Hinweis, dass sie meine damalige streikbegleitende Maßnahme als Sachbeschädigung ansehen. Für mich war klar: Wenn die Unileitung damit durchkommt, wäre das ein systematischer Angriff auf das Streikrecht, nicht nur von mir, sondern generell von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Deswegen bin ich zur Gewerkschaft ver.di gegangen, die dann zum Glück den Rechtsschutz übernommen hat. Ver.di und ich sehen die Vorwürfe der Unileitung als einen Angriff auf verfassungsmäßig garantierte Grundsätze und dagegen klagen wir mit der Berliner Kanzlei dka Rechtsanwälte Fachanwälte.

Wie steht es aktuell vor Gericht um deinen Prozess?

Ver.di hätte den Rechtsschutz nicht übernommen, wenn es keine Erfolgschancen für das Verfahren gäbe. Mein Anwalt sieht sehr gute Chancen, das Verfahren noch in der ersten Instanz zu gewinnen. Meine Einschätzung ist, dass wir in den höheren Instanzen auf jeden Fall gewinnen.

Die Verwendung von Sprühkreide ist eine legale Grauzone. Hat die HU dennoch überhaupt eine rechtliche Grundlage, um dir deine Einstellung zu verwehren?

Die Unileitung handelt willkürlich und geht damit nicht nur gegen uns als Personen vor, sondern als Studierende, die unsere demokratischen Rechte an der Hochschule einfordern. Das passt für mich sehr gut zum neoliberalen und kapitalistischen Hochschulsystem: Bei der Verwirtschaftlichung des Unibetriebs stören demokratische Räume und die Mitbestimmung aller Statusgruppen. Für mich wirkt es so, als würde die Unileitung systematisch gegen Demokratie und Selbstverwaltung an der Hochschule vorgehen.

In Zuge des Streiks wurde gesprüht, geklebt und es wurden weitere kreative Streikmaßnahmen eingesetzt. Das musste die Unileitung zu einem gewissen Grad tolerieren. Da, wo sie aber gute rechtliche Chancen gesehen hat, ist sie gegen uns vorgegangen.

Generell muss man sich die Frage stellen, warum diese Maßnahmen im Rahmen eines Streiks toleriert werden sollten. Verschiedene juristische Urteile bestätigen, dass solche streikbegleitenden Maßnahmen zwar eine Zumutung für die Unternehmen sind, aber eben eine verfassungsrechtlich gewollte Zumutung. Das kollektive Streikrecht steht, qua seiner Existenz, in Kollision mit dem Eigentumsrecht von wenigen. Denn genau das macht Streik: Er schränkt das Besitzrecht von Besitzenden ein, damit diese sich gezwungen sehen, auf die Forderung der Streikenden einzugehen. Die Unileitung sucht hier also, wieder einmal, einfach nur nach Gründen, um für sie politisch unbequeme Beschäftigte loszuwerden. Den Gerichtsprozess verstehe ich deswegen als meine Pflicht, um gegen diese Willkür anzugehen.

Unter dem Namen #mobleibt ist eine Solidaritätskampagne rund um deinen Prozess entstanden. Welche Resonanz erfährt deine Klage an der Uni und wie sieht die Solidarität von den Statusgruppen aus?

Verschiedene Gewerkschaften, Fachschaften, ASten und Hochschulgruppen haben ihre Solidarität geäußert und eigene Stellungnahmen veröffentlicht. Schade ist es, dass der Prozess hochschulintern noch nicht besprochen wurde. Das sehe ich als Symptom für das eklatante Demokratiedefizit, was wir an der Uni haben. Immer wieder werden interne Probleme der Hochschule ausgegliedert, also z.B. in externen Gerichtsverfahren ausgestritten. Die HU ist, für eine Hochschule, in unüblich viele Gerichtsverfahren verwickelt. Für mich ist das ein weiteres Indiz dafür, dass sie nicht fähig ist, demokratisch mit Konflikten umzugehen.

Im Hinblick auf die aktuelle Umgestaltung des Berliner Hochschulgesetzes fände ich es gut, wenn verschiedene Statusgruppen meinen Fall als Beispiel nehmen, um auf das Demokratiedefizit an Hochschulen hinzuweisen und Umstrukturierungen hin zu mehr Mitbestimmung zu fordern. Wir müssen an der Hochschule gemeinsam Entscheidungen darüber fällen, wer zu welchen Bedingungen angestellt wird. Dies sollte keine Entscheidung einiger weniger sein. Bei der Einstellung von Professor_innen gibt es beispielsweise bereits Gremien, in der mehrere Statusgruppen über deren Anstellung entscheiden2. Warum können Professor_innen gemeinschaftlich über ihre Einstellungen und die von anderen wissenschaftlichen Beschäftigten entscheiden, aber andere Statusgruppen nicht?

Wie siehst du aktuell die Perspektive für gewerkschaftliche Organisierung an der HU, vor allem im Hinblick auf die vergangenen (Teil-)Erfolge der TV-Stud Kampagne?

Über den Zeitraum von einem Jahr gab es während des TV-Stud-Streiks eine stärkere Mobilisierung von gewerkschaftlichem Potenzial an der Uni. Der PRstudB hat sich hier beispielsweise gefreut, endlich einmal viele Menschen für die Neubesetzung von Personalratsstellen zu finden. Auch haben sich in der Zeit viele studentische Initiativen gegründet, von denen sich leider einige schon wieder aufgelöst haben. Schade fand ich, dass trotz der Streikwelle nur wenige Studierende in die Betriebsgruppen gekommen sind. Die verfasste Studierendenschaft hat sich während des Streiks stark engagiert, jedoch sind arbeitsrechtliche Themen an der Uni danach schnell wieder von der Tagesordnung verschwunden. Die große Mobilisierung während des Streiks ist also leider nicht in eine langfristige Organisierung an der Uni umgeschlagen.

Ein Hoffnungsschimmer ist zumindest, dass einige Aktive aus den Basisgruppen nun auch in anderen Personalräten angekommen sind. Das sichert nachhaltig, dass die Interessen von Studierenden an der Hochschule vertreten werden. Eine Frage für die Zukunft ist also, wie gewerkschaftliche Aktionen so organisiert werden können, dass die Basisgruppen mehr Zulauf finden und gestärkt aus dem Streik hervorgehen. Ein Beispiel dafür ist die Betriebsgruppe der Freien Arbeiter_innen Union (FAU) an der HU, die sich im Zuge von TV-Stud gegründet hat. Die Gruppe macht immer wieder Aktionen und ist in den letzten Jahren weiter angewachsen.

Ganz allgemein kann mein Verfahren nun zumindest als Anstoß dienen, dass arbeitsrechtliche Themen an der Uni wieder mehr Aufmerksamkeit finden und Zusammenhänge zwischen Hochschulpolitik und gewerkschaftlichen Kämpfen sichtbarer werden.

Vielen Dank für das Interview Mo.

Sehr gerne.

Das Interview wurde im Frühjahr 2021 geführt. Ende Juli wurde Mos Klage gegen die HU vom Berliner Arbeitsgericht abgewiesen. Mit Unterstützung von Verdi will Mo die Klage nun in nächster Instanz weiterführen3.

Weiterführende Links:

https://mobleibt.noblogs.org

https://tvlfuerstudisberlin.noblogs.org

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1 Die Beschäftigung war rechtswidrig, weil Mo nicht nach dem für seinen Bereich gültigen Tarifvertrag des Landes (TV-L) beschäftigt wurde. (Anm. d. Red.).

2 Auch wenn mehrere Statusgruppen bei der Einstellung von Professor_innen formal mitsprechen dürfen, hat die Statusgruppe der Professor_innen in den Berufungskommissionen eine Mehrheit. Außerdem entscheidet die Uni, welche Professor_innen potenziell angestellt werden sollen. Die verschiedenen Statusgruppe haben somit nur ein Mitsprache- aber kein Entscheidungsrecht, wer die Professur am Ende erhält. (Anm. d. Red.)

3 Peter Nowak: „Gestreikt und plötzlich arbeitslos“, 29.7.2021, online unter: www.taz.de