Die Ware Wohnraum – HUch#92

| von Jonas Frankenreiter |

Bei der mühsamen WG-Suche oder im Streit mit den Vermieter_innen: Die Wohnungsfrage beschäftigt viele Studierende, Arbeiter_innen, Aktivist_innen und die Politik. Aber wie kam es zu dem Mietenwahnsinn in Berlin?

Bild: Loup Deflandre

Die Finanzialisierung von Wohnraum ist ein globales Phänomen, welches seit einiger Zeit wieder als Problem benannt wird. Das ist ein Erfolg vieler urban-organisierter Mieter_innenbewegungen weltweit. Aktuell wird sich jedoch in kaum einer Stadt so vehement der Verwertung von Wohnraum entgegengestellt wie in Berlin. Seit Ende Februar sammelt hier die Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen Unterschriften, um einen Volksentscheid zu erreichen. Ihr Ziel ist so radikal wie verständlich: der Spekulation mit Wohnraum Einhalt gebieten, indem Bestände großer privater Unternehmen vergesellschaftet werden, um damit den öffentlichen Wohnungssektor zu stärken.

Die Wohnungsfrage ist und bleibt eine der offensichtlichsten Trennlinien unserer Gesellschaft. So kam es in Berlin beispielsweise zu einer Verdopplung der Angebotsmieten innerhalb der letzten zehn Jahre, wodurch sich immer mehr Menschen in der Stadt keine Wohnung mehr leisten können und verdrängt werden. Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Mieten immer weiter steigen, Wohnraum als Ware begriffen und zur Bereicherung einiger weniger genutzt wird?

In Deutschland leben die Menschen im Vergleich mit anderen Ländern besonders häufig zur Miete. Das hat auch mit dem mieter_innenfreundlichen Wohnungsmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun, der von zerbombten Städten und damit einem zu verwaltenden Mangel geprägt war. So bestand in der BRD bis in die 1960er Jahre eine Mietpreisbeschränkung für Altbauten und bis 1990 regelte das Wohngemeinnützigkeitsgesetz große Teile des Wohnungsmarktes. Durch Steuererleichterungen wurden Genossenschaften und der kommunale Wohnungsbau gestärkt1. Historisch betrachtet ist das außergewöhnlich, denn noch zu Zeiten der industriellen Revolution waren die Wohnungsmärkte weitgehend unreguliert und von Wohnungsnot geprägt. Mit dem politischen Willen, diesen Fehler nicht zu wiederholen, entstand für eine gewisse Zeit ein öffentlicher Wohnungssektor, der sozial agierte und langfristige Mietverhältnisse anstrebte.

Der Anfang vom Ende dieser Periode kam mit dem neoliberalen Geisteswandel Mitte der 1970er Jahre hin zu einem schwächeren Staat und einem ausgeweiteten Finanzwesen. Ein Trend, der in Chile, Großbritannien und den USA begann und in den darauffolgenden Jahrzehnten viele westliche Länder ereilte. Auch hierzulande warfen Spekulant_innen seit den 1980er Jahren vermehrt ihr Auge auf ein von ihnen begehrtes Objekt: öffentliche Wohnungen, welche nun privatisiert und damit als Anlageobjekt genutzt werden konnten. Zugleich wurde der öffentliche und gemeinwohlorientierte Wohnungsbau mit dem Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit massiv heruntergefahren.

In Ostberlin und anderen Städten der ehemaligen DDR sah die Lage etwas anders aus. Die Bestände in den Städten waren kommunal verwaltet und wurden nach Bedarf verteilt und bezuschusst. Dadurch war es möglich, dass ein gewöhnlicher Haushalt finanziell fast gar nicht von der Miete belastet wurde. So zahlte man in den 1980ern monatlich kaum mehr als 70 Mark Miete für eine Neubauwohnung2. Renovierungsarbeiten wurden häufig von den Mieterinnen und Mietern selbst übernommen, ganz so als wären die Häuser ihr Eigentum. Dennoch war auch der Verlauf der Wende mit der Unzufriedenheit über die Wohnsituation geprägt. Der drohende Verfall der Innenstädte aufgrund von Materialmangel zur Renovierung der Häuser war eine treibende Kraft für die Bürger_innenbewegung.

Mit dem Beitritt der DDR zur BRD waren die Eigentumsverhältnisse häufig unklar und leerstehende Häuser luden ein, kreativ genutzt zu werden. Es entstanden Kneipen, Clubs und Wohngemeinschaften. Zunächst wurde unter der Regierung Kohl sogar der soziale Wohnungsbau gestärkt, jedoch um instandgesetzte Einheiten schon wenig später zu privatisieren3. Die großflächige Kommodifizierung von Wohnraum wurde schließlich eingeleitet, als ganze Bestände von den Kommunen verkauft wurden. Beispielsweise verkaufte der Berliner rot-rote Senat im Jahr 2004 die GSW, eine städtische Wohnungsgesellschaft, welche damals über 65.000 Wohnungen verfügte, an diverse Investmentfirmen4. Die GSW Immobilien AG befindet sich heute im Besitz der Deutschen Wohnen5.

Die Besonderheit der Entwicklung hierzulande hebt Philipp P. Metzger in seiner Dissertation über Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsmarktes hervor. Finanzialisierung bezeichnet nach Metzger die Vormachtstellung des Finanz- gegenüber dem Realkapital. Der Finanzsektor, Versicherungsfirmen und der Immobiliensektor sind zu einem der wichtigsten Industriezweige verschmolzen, durch den sich Profit generieren lässt. Und das, obwohl diese Industrien selber keine Waren produzieren6. Vielmehr wird hier mit Spekulation und Investition Profit generiert. Durch die Spekulation können Investoren große Gewinne erzielen. Dabei sind vor allem Immobilien beliebte Ziele der Investor_innen: Über Fonds können ganze Wohnungspakete gekauft werden, mit dem Ziel, diese bald wieder gewinnbringend zu verkaufen. So schießen die Preise nach oben. Aber auch das langfristige Investment in Wohnungsunternehmen, die ihre Wohnungen langfristig behalten, aber möglichst günstig bewirtschaften, wird immer beliebter7. Anders als in vielen anderen Ländern handle es sich in Deutschland um die Verwertung von Wohnraum in einer Mieternation, so Metzger8: Hierzulande liegt die Ware Wohnraum besonders häufig nicht in den Händen der Bewohner_innen. Die Privatisierung von Wohnraum führte vor allem zu immer größeren Gewinnabsichten von Seiten der Unternehmen. So klagten auch Mieter_innen der privatisierten GSW bald über den Verfall ihrer Wohnungen9.

Für private Akteur_innen wird es auch deshalb immer attraktiver, in Immobilien zu investieren, weil seit der Finanzkriese niedrige Zinsen und ein Mangel an anderen renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten herrschen. Die Voraussetzungen für die Finanzialisierung von Wohnraum waren und sind also optimal und die Politik macht mit, indem sie Wohnungen zur Haushaltssanierung verkauft: zwischen 1995 und 2010 beispielsweise knapp eine Million10.

Die Geschichte der Deutsche Wohnen steht schließlich exemplarisch für die Entwicklung der letzten 25 Jahre. Börsennotierte Wohnungsunternehmen sind seitdem zur neuen Normalität geworden. 1998 von der Deutschen Bank gegründet, erfolgte der Börsengang der Deutschen Wohnen im Jahr 199911. Schnell wurde das Portfolio erweitert: durch die Übernahme öffentlicher Wohnungen, ehemaliger Betriebsunterkünfte und dem Aufkauf ganzer Siedlungen. Besonders perfide dabei ist ein Umstand, dem in letzter Zeit vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird: Die Aktionär_innen sind häufig Renten- oder Versicherungsfonds. Das Geld, das viele Mieter_innen auf die Seite legen, wird häufig indirekt genutzt, um zu spekulieren. Ihre eigene Miete wird dadurch in die Höhe getrieben.

Inzwischen ist die Deutsche Wohnen in den DAX aufgestiegen und mit über 110.000 Wohnungen die größte Vermieterin in Berlin – der große Hai frisst die Kleinen. Zusammen mit der ebenfalls DAX-notierten Vonovia besitzen diese Unternehmen eine beachtliche Marktmacht, die sich nicht nur in den Mieten der eigenen Bestände, sondern selbst im steigenden Mietspiegel ganzer Nachbar_innenschaften zeigt. Mit der geplanten Fusion dieser beiden Konzerne und der Vereinigung in der Vonovia ist eine Verringerung ihres Einflusses nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Die Machtkonzentration scheint unausweichlich und wieder von der Politik gewollt – jedenfalls von der Berliner SPD und dem regierenden Bürgermeister, der auf einer Pressekonferenz angesichts der Fusion beschwichtigt und die Rolle von Partner_innenschaften auf dem Wohnungsmarkt betont12.

Im Gegensatz zur Berliner SPD unterstützen viele Mieter_innen momentan aus voller Kraft den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen. Um Entwicklungen wie die der letzten 30 Jahre in Zukunft unmöglich zu machen und Wohnraum nicht länger der Warenform zu überlassen, braucht es einen geistigen Wandel und politische Mehrheiten. Eine Stadt der Mieter_innen sollte auch bedeuten, dass ihre Bewohner_innen an Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gewinnen. Eine demokratisch verwaltete Anstalt des öffentlichen Rechts, die über einen bedeutenden Teil der Berliner Wohnungen entscheidet und eine Reprivatisierung ausschließt – wie von der Initiative vorgeschlagen – wäre der Anfang einer offeneren und solidarischeren Stadt. Und ein gewonnener Volksentscheid ein bedeutender Schritt dahin!

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1 https://www.bundestag.de/resource/blob/437804/5ff9abf65d1ceec8839fb2aef36b9c83/wd-7-006-13-pdf-data.pdf

2 https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm1014/101420.htm

3 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1120894.wohnungsmarkt-verwertung-einer-mieternation.html

4 https://www.berliner-zeitung.de/gsw-verkauf-fuer-405-millionen-euro-erhielt-breite-zustimmung-li.6511

5 https://www.deutsche-wohnen.com/gsw/

6 Metzger, Philipp. Die Finanzialisierung Der Deutschen Ökonomie Am Beispiel Des Wohnungsmarktes. Westfälisches Dampfboot, 2020. S.11.

7 S. Fußnote 3.

8 S. Metzger. S. 17.

9 https://taz.de/Ende-der-Wohnungsgesellschaft-GSW/!5213180/

10 Andree, Y. (2021). Die (Re-)Politisierung des Rechts auf Wohnen: über die Kämpfe von lokalen Mieter*innenbewegungen gegen Gentrifizierung und für bezahlbares Wohnen in Berlin. (Opuscula, 151). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-72687-2. S.17.

11 https://www.deutsche-wohnen.com/fileadmin/images/ueber-uns/Presse/Faktenblaetter/Faktenblatt-Historie.pdf

12 https://www.rnd.de/politik/vonovia-und-deutsche-wohnen-fusionieren-halbe-millionen-wohneinheiten-in-einer-hand-6SQ6VJTSYZDGXJV3PEVOS7HN54.html