Leben in die Theorie bringen – HUch#91

| von Pia Künzel |

Die Bedeutung von Klasse von bell hooks spiegelt das Leben der Autorin, das sich zwischen aktivistischer Praxis und akademischer Arbeit bewegte – und dabei insbesondere die Theorie mit Leben erfüllte.

Bild: Mariana Papagni

Kaum ein_e Autor_in schafft es, so vielschichtige Themen in einem einzigen Buch aufzugreifen, wie bell hooks – diese Aussage über ihre eigene Person würde ihr jedoch nicht gefallen. Sie will nicht glorifiziert, sondern ernst genommen werden für das, was sie schreibt. In ihrem Buch Die Bedeutung von Klasse, welches im Mai 2020 im Unrast Verlag in deutscher Übersetzung erschienen ist, thematisiert bell hooks in 14 Kapiteln, weshalb die Klassenanalyse in antirassistischen und feministischen Debatten oft zu kurz kommt. Sie analysiert dafür das Zusammenwirken von Klassismus, Rassismus und Sexismus und zeigt Perspektiven für eine breit gedachte Solidarität auf.

Doch auch Kulturkritik, einer der Schwerpunkte in ihrer Forschung, wird in ihrem Buch artikuliert. Diese Themenfelder werden vor allem anhand von autobiographischen Erinnerungen skizziert und mit Theorie verwoben. Dabei geht es bell hooks um unterschiedliche Formen der Vermittlung – darum, dass die eigene Biographie auch in der theoretischen Verortung eine Rolle spielt. Ihre Sprache wechselt zwischen dem sanften, poetischen Schreiben über den Schmerz, den sie als Schwarze Frau aus der US-amerikanischen Arbeiter_innenklasse erlebt hat, und einer kämpferischen Absage an die Zustände dieser Gesellschaft. Indem sie ihre Theorie in einer zugänglichen Sprache ausdrückt, gelingt es ihr, die Ausschlüsse, die sie im akademischen Bereich erlebt hat, selbst nicht zu reproduzieren.

Die zentrale Rolle von Praxis in bell hooks‘ Denken kann man aus jeder Seite des Buches herauslesen: Ihr Ziel ist es, die Gesellschaft zu verändern – und dafür sind politische Kampfansagen vonnöten. Einige Passagen aus dem Buch könnte man auch als Redebeitrag auf einer Demonstration halten – bell hooks kann überzeugen. Dass sie ihre eigene Geschichte nicht ausklammert, sondern in ihre Analyse mit einfließen lässt, ist eine der großen Stärken dieses Buches. Ohne den subjektiven Faktor lässt sich Theorie schließlich nicht denken. bell hooks schreibt über ihre Erfahrungen mit Klassismus, darüber, wie diese ihren Aktivismus geprägt haben, und geht gleichzeitig über diese hinaus, indem sie sie theoretisch fasst und einordnet.

bell hooks ist eine Klassenaufsteigerin. Aufgewachsen in Hopkinsville, Kentucky, in einem Arbeiter_innenhaushalt, hat sie an der University of California promoviert und lehrt mittlerweile Appalachian Studies[1] am Berea College in Kentucky. Sie thematisiert die Angst, ihre Wurzeln zu verlieren: Um im akademischen Raum angenommen zu werden, wird allzu oft verlangt, die eigene Vergangenheit aufzugeben und sich zu assimilieren.

Die Bedeutung von Klasse wird zunächst durch episodenhaft erzählte Ausschnitte aus ihrer eigenen Biographie deutlich gemacht. Ihre Großeltern lebten als Selbstversorger_innen auf dem Land. Das Haus der Großeltern war für bell hooks »die Verkörperung einer verzauberten Erinnerung«[2], voll mit Objekten der Vergangenheit, die wiederverwertet wurden. Diese für bell hooks so offensichtliche Schönheit des einfachen Lebens ihrer Großeltern war für Andere jedoch Grund, die Familie als »hinterwäldlerisch« zu diffamieren. So versuchte bell hooks Mutter, ihrer Herkunft und dem damit einhergehenden Lebensstil zu entfliehen, indem sie sich den Habitus der Mittelklasse aneignete.

bell hooks schreibt darüber, dass viele Arbeiter_innenkinder mit einem ständigen Gefühl des Mangels aufwachsen – ihre Grundbedürfnisse sind oft nicht gesichert und darüber hinaus können sie sich genau jene materiellen Güter, die im Kapitalismus über Status entscheiden, nicht leisten. Auch wenn sie versteht, dass Menschen der Arbeiter_innenklasse der »Kultur des Konsums« verfallen, in einer Welt, in der Geld haben über allem steht, zählen für sie doch andere Werte. Das sind genau die Werte, die ihr in ihrer Kindheit vermittelt wurden und die sie bis heute mit Stolz erfüllen: die Solidarität und der Zusammenhalt unter armen Schwarzen Menschen, die ihnen allen half, ein möglichst angenehmes, wenn auch einfaches Leben zu führen. Damit macht sie eine Dichotomie zwischen dem Streben nach mehr Konsum und dem Idealbild des einfachen Lebens auf, die moralisch begründet ist. Trotzdem wird deutlich, dass es ihr nicht nur um moralische Überlegenheit, sondern um Klassenkampf geht. Eine befreite Gesellschaft kann für sie nur erreicht werden, wenn man Güter gemeinschaftlich teilt und sich gegenseitig hilft, auch im Hier und Jetzt.

Diese Werte wurden bell hooks vor allem durch ihre christliche Erziehung in der Kirche und ihre religiösen Eltern beigebracht, welche sie später auch für ihre patriarchalen Strukturen kritisierte. Dennoch spielen die Erinnerungen an die christliche Community ihrer Kindheit und deren helfendes Netz bis heute eine wichtige Rolle in ihrem Leben – hier knüpfen ihre Erfahrungen an die anderer Schwarzer christlich-religiöser Menschen in den USA an, für die die Kirche oft einer der wenigen Rückzugsräume war.

Obwohl bell hooks Familie auf ihre Lebensweise stolz war, kam auch viel Scham dafür auf, der Arbeiter_innenklasse anzugehören. bell hooks schreibt, dass ihr erst viel später die Klassenscham bewusst wurde, die dahintersteckte, dass in ihrer Kindheit nie über Geld geredet wurde. Das ist ein Punkt, der sich konsequent durch ihr Buch zieht: Es wurde und wird nicht über Klasse geredet. Die Unfähigkeit der privilegierteren Menschen dieser Gesellschaft, über Klasse nachzudenken, wurde bell hooks im Studium besonders deutlich gezeigt. Dieses begann sie an der Universität in Kentucky. Sie traf dort auf weiße, überwiegend bürgerliche Frauen, die ihr mit Verachtung und Ausschluss begegneten. »Wir kamen nicht vom gleichen Planeten«, schreibt bell hooks darüber.

Sie flüchtete sich in Bücher und wechselte schlussendlich an die University of Stanford, in der Hoffnung, dort einen Ort zu finden, an dem man sie besser akzeptieren würde. Doch: »Ausgerechnet an der Universität, wo sich der Gründer Leland Stanford vorgestellt hatte, dass sich verschiedene soziale Schichten treffen, musste ich feststellen, wie sehr Menschen mit Klassenprivilegien die Arbeiter_innenklasse fürchteten und hassten.« Hier zeigt sich, dass auch diejenigen unter ihnen, die sich als Marxist_innen oder Sozialist_innen begreifen, oft keine tatsächliche Verbindung zu den Arbeiter_innen und armen Menschen haben, mit denen zusammen sie doch eigentlich für eine bessere Welt kämpfen sollten. Für ihre Lebensweise interessieren sie sich nicht, genauso wenig dafür, Arbeiter_innen und arme Menschen ernst zu nehmen.

Um diese Verhaltensebene zu fassen, orientiert sich bell hooks‘ Begriff von Klasse auch daran, welche Vorstellungen man vom Leben hat, wie man fühlt, wie man handelt, wie man denkt. Gerade dieser Punkt scheint ihr sehr wichtig zu sein: Als privilegierte Person kommt es darauf an, diese Verhaltensweisen zu reflektieren und – vor allem – gemeinsam für eine klassenlose Gesellschaft zu kämpfen.

Dieser gemeinsame Kampf für eine bessere Welt ist für bell hooks‘ Denken zentral. Besonders deutlich wird dies in ihren Beiträgen zum Feminismus. Schon in ihrem ersten Buch Ain‘t I a woman schreibt bell hooks über den Ausschluss von BIPoC[3] aus dem weißen, bürgerlichen Feminismus. Die Erfahrungen schwarzer und armer Frauen[4] werden ausgeblendet, genau wie deren wissenschaftliche Arbeiten im universitären Diskurs. Zwar werden nach bell hooks mittlerweile einige BIPoC von bürgerlichen Feminist_innen rezipiert und zu Ikonen stilisiert, jedoch finden die meisten nicht-weißen Theoretiker_innen keinen Eingang in den akademischen Kanon. Besonders deutlich wird das Schweigen über Fragen des Rassismus im bürgerlichen, weißen Feminismus laut bell hooks im Kampf gegen sexuelle Gewalt: Es wird sich auf die Befreiung von Körpern bezogen und darüber hinaus völlig vergessen, dass es auch beim Rassismus um die Kontrolle und Zurichtung von Körpern geht, was sich unter Anderem in kolonialen und post-kolonialen Praxen besonders deutlich zeigt.

Auch die spezifische Situation armer Frauen wird vonseiten des bürgerlichen, weißen Feminismus nicht gesehen. Entsprechend kritisiert bell hooks an letzterem, dass er schon zu seinen Anfangszeiten die Befreiung der Frau hauptsächlich durch deren Integration in den Arbeitsmarkt vorsah. Dass arme Frauen schon immer arbeiten mussten, um sich und ihre Familien zu ernähren, wird dabei vergessen. Und auch heute ist die von bürgerlichen Frauen errungene Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt nur durch die Ausbeutung von Arbeiter_innen möglich: Jemand muss schließlich die Care-Arbeit erledigen, von der sich privilegierte Frauen durch ihre berufliche Emanzipation lossagen konnten.

Wie kann man Feminismus nun anders fassen, sodass ein gemeinsamer Kampf möglich wird? Die Idee, dass Solidarität unter Frauen vor allem durch eine gemeinsame Unterdrückungserfahrung generiert werden sollte, lehnt bell hooks ab – denn eine solche Voraussetzung verschleiert und mystifiziert die tatsächlichen Verhältnisse, in denen Frauen in verschiedenen sozialen Realitäten leben. Wer sich selbst nur als Opfer sieht, ist oft unfähig, die eigenen Verstrickungen in Rassismus, Klassismus und Sexismus zu verstehen.

Politische Solidarität unter Frauen ist laut bell hooks dennoch essenziell. Was den feministischen Kampf nämlich eigentlich eint, ist sein politisches Ziel: das Ende aller sexistischen Unterdrückung. Was hier für den Feminismus gesagt wird, kann ebenso auf andere Kämpfe angewendet werden: »Frauen müssen lernen, auch für Kämpfe, die sie nicht direkt als Individuen betreffen, Verantwortung zu übernehmen. Feministische Bewegungen, genau wie andere radikale Kämpfe in unserer Gesellschaft, leiden darunter, wenn individuelle Probleme und Prioritäten der einzige Grund sind, sich an ihren zu beteiligen. Wenn wir hingegen kollektiv verschiedene Kämpfe angehen, stärken wir unsere Solidarität.«[5]

Diese theoretisch begründete Notwendigkeit der Sorge um das Kollektiv überführt bell hooks direkt in praktische Ansätze, Klassenkämpfe mit antirassistischen und feministischen Kämpfen zu vereinen. Beispielsweise schlägt sie das Bilden von Wohnungsgenossenschaften nach feministischen Prinzipien vor und zeigt damit, dass sich diese Kämpfe nicht voneinander trennen lassen, wenn man es ernst damit meint, Unterdrückung abzuschaffen. Für bell hooks geht es darum, dass bürgerliche, weiße Feministinnen lernen, zuzuhören – dass man gegenseitig voneinander lernt. Gleichzeitig bleibt die Perspektive auf eine bessere Gesellschaft universell.

Ein weiterer Punkt, den bell hooks aufgreift, betrifft die Spaltung innerhalb der US-amerikanischen Arbeiter_innenklasse. Trotz des immer gravierenderen Unterschiedes zwischen Arm und Reich gibt es wenig Solidarität unter armen Menschen. Dabei spielt natürlich der Rassismus vieler weißer Arbeiter_innen eine Rolle. Solange Schwarz sein mit arm sein verknüpft ist, können sich weiße arme Menschen immer noch ein Stück überlegen fühlen. Weiße Armut ist nicht sichtbar, sie wird medial nur selten aufgegriffen. Dass auch weiße Personen, sofern sie nicht privilegiert sind, jederzeit alles verlieren können, wollen sie nicht wahrhaben.

bell hooks thematisiert immer wieder das Trugbild der klassenlosen Gesellschaft, das in den USA vorherrscht, den Glauben an den American Dream. Damit dieses Bild auch bei denen, die die Klassengesellschaft am härtesten trifft, aufrechterhalten werden kann, besteht im Kapitalismus und in der herrschenden Klasse kein Interesse daran, die Arbeiter_innen vereint zu sehen. Genau deshalb fordert bell hooks dazu auf, dass sich progressive Arbeiter_innen zusammenschließen. Wenn Klassenkampf antirassistisch wird, dann »könnte der Kampf gegen Armut leicht zu einem Thema der Bürgerrechte mit hoher Anziehung werden, in der sich Gruppen zusammenschließen, die sich vorher noch nie zusammengetan haben, um ihre gemeinsame Hoffnung auf ein demokratischeres und gerechteres Leben zu stützen – in einer Welt, in der allen die Grundbedürfnisse zum Leben, entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse zur Verfügung stehen.«[6]

Die Bedeutung von Klasse nimmt in bell hooks‘ Denken also einen großen Platz ein. Sie versucht ihr Leben danach auszurichten, ansprechbar zu bleiben und jenen eine Stimme zu geben, die im Diskurs keine haben. Sie versteht sich in scharfer, polemischer Kritik und kann Lösungen aufzeigen, wo meist nur Fragen gestellt oder harte Abgrenzungen gezogen werden. Obwohl ihr Buch Die Bedeutung von Klasse bereits vor 20 Jahren erschienen ist, liefert es also wichtige Beiträge auch für aktuelle deutschsprachige Debatten zum Thema Klasse.

bell hooks vergisst nie, die unterschiedliche Betroffenheit der Menschen in der Klassengesellschaft zu betonen, nicht zuletzt anhand ihrer eigenen Biografie. Wenn es jedoch um politisches Handeln geht, ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Klassenkampf alle etwas angeht. bell hooks zeigt, wie man ihn gemeinsam kämpfen und mit Antirassismus und Feminismus verbinden kann.

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[1] Die Appalachia sind eine Gebirgskette im Osten Nordamerikas, wo auch bell hooks‘ Geburtsort liegt.

[2] bell hooks: Die Bedeutung von Klasse, Münster 2020, S. 24.

[3] BIPoC ist eine Selbstbezeichnung und bedeutet „Black, Indigenous, People of Color“.

[4] Im Englischen verwendet bell hooks das Wort »women«, in der deutschen Übersetzung wird von »Frauen« gesprochen, dieser Begriff wird hier übernommen.

[5] bell hooks:»SISTERHOOD. Political Solidarity Between Women«, in: Feminist Review, No. 23, 1986, S. 137. Übersetzung P.K.

[6] bell hooks: Die Bedeutung von Klasse, Münster 2020, S. 132.