Identity Troubles – HUch#91

| von Margo Damm und Paula Blömers |

Das Werk von Judith Butler ist im feministischen Diskurs um Gender enorm einflussreich gewesen – zugleich ist es aber sehr umstritten. Eine wohlwollende Lektüre kann jedoch auch 30 Jahre nach Erscheinen von Gender Trouble konstruktive Perspektiven aufzeigen.

Bild: Mariana Papagni

30 Jahre Gender Trouble: Das 1990 erschienene erste Werk von Judith Butler gilt heute als einer der Gründungstexte des Queerfeminismus und löste zugleich Diskussionen im akademischen und aktivistischen Kontext aus. Dafür ist der Titel paradigmatisch: In Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity hinterfragt Butler vorgegebene Gender-Identitäten und versucht über eine immanente Kritik der bis dahin formulierten Theorien zu Geschlecht und Gender neue, inkludierende feministische Ansätze anzubieten. Ausgehend von zahlreichen Spaltungen in feministischen Lagern und verschiedenen essentialisierenden Versuchen, die Kategorie Frau zu beschreiben, bietet der Text Analysestrategien für eine Dekonstruktion der Geschlechter.

Der Vorwurf an Butler lautete hingegen oft, sie betreibe ein akademisches Spiel, das sich mit realen politischen Kämpfen nicht vereinbaren ließe und biete zugleich des Individualismus leicht überführbare Ansatzpunkte, die bestimmte Formen re-essenzialisierender Identitätspolitik nährten. Um auf diese Kritiken zu antworten, wollen wir fragen: Wie lässt sich der Ansatz einer Dekonstruktion von Identität als ein politischer verstehen, und wie wird er in späteren Texten Butlers fortgeführt? Wie lässt sich an diesen Kategorien arbeiten, ohne dabei individualistische Politiken zu verfolgen?

Der Ausgangspunkt des Troubles

Das Buch stellt die These auf, dass sich das Frau-Sein nicht über essentielle, biologische Kategorien auf den weiblichen Körper zurückführen lässt, sondern eine soziale Konstruktion ist, die durch eine stete Wiederholung bestehender und sich in diesem Vorgang konstituierender Normen eine strukturelle Verbindung zwischen Sex und Gender, also körperlichem und sozialem Geschlecht stiftet. Simone de Beauvoirs berühmter Satz – »Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht« – wird fortgeführt und dekonstruiert, indem die Trennung zwischen Sex und Gender nicht als statisch, sondern als sich gegenseitig fixierend und produzierend begriffen wird. Butler analysiert, wie unser Geschlecht diskursiv durch normative Vorstellungen von Geschlecht bestimmt wird. Was wir unmittelbar wahrzunehmen glauben, als real bezeichnen und als biologisches Geschlecht lesen, entsteht aus dieser diskursiven Verbindung zwischen Körper und Kultur. Das Geschlecht wird damit naturalisiert und zugleich für unveränderbar erklärt. Die daraus entstehenden Normen üben Gewalt beispielsweise gegen Schwule, Lesben, Trans-, Inter-, und Nicht-Binäre-Personen – kurz, gegen alle aus, die nicht den gängigen dichotomen Gendernormen entsprechen. Diese Gewalt nimmt viele verschiedene Formen an, bettet sich in unterschiedliche hierarchische Systeme ein und zeigt sich mal mehr, mal weniger.

Was Butler mit Gender Trouble zur Ausgangsfrage ihres Denkens macht, ist die politische Sichtbarmachung von Identitätskategorien und damit die Infragestellung der Form des liberalen politischen Diskurses, die von einem festgelegten Individuum ausgeht, das den kleinsten nennbaren Teil der Gesellschaft bildet. Der Anspruch Butlers ist es, gesellschaftliche Strukturen kritisch zu befragen, um sie sichtbar zu machen. Antrieb dieser Analyse ist die Suche nach einer politischen Form, die durch Betonung von Unklarheit und die Aufkündigung der konstruierten Binarität der Brüchigkeit von Identitäten Raum geben soll.

Identität und Performativität

Was aber oft überlesen wird, ist die Frage, wie diese Normen produziert werden. Das wird in den späteren Arbeiten Butlers zu Subjekt, Autonomie, Prekarität und Vulnerabilität spezifiziert, ist aber auch bereits in Gender Trouble im Begriff der Performativität enthalten. Das Ideal einer einheitlichen Identität, meist verknüpft mit Genderidealen, also der Übereinstimmung von Sex und Gender sowie die Einhaltung typisierter männlicher bzw. weiblicher Attribute muss sich in deren permanenter Ausübung und Wiederholung bestätigen. Performativität bedeutet also, dass es einerseits Prozesse gibt, die auf uns einwirken, andererseits aber auch Möglichkeiten, diese Prozesse durch Handlungen zu unterlaufen und zu durchbrechen.

In der Wiederholung der Normen liegt immer ein Moment der Möglichkeit, diese aufzubrechen: Eine Handlung kann niemals ganz getreu wiederholt werden, es gibt immer eine gewisse Differenz zur Norm. Diese soziale Wiederholung, dieses Ritual wird von Körpern durchgeführt, die einander anerkennen – oder eben nicht. Adressiert zu werden, bedeutet laut Butler nicht nur, als das erkannt zu werden, was man bereits ist, sondern durch die eigene Anerkennbarkeit überhaupt erst in Existenz zu treten. Daran schließt sich wiederum die Frage an, unter welchen materiellen Bedingungen diese Praktiken der Anerkennung vorgehen: Wer hat welche Deutungsmacht? Welche sind die herrschenden Normen? Welche Identitäten dürfen sich zeigen?

Damit ist die Reproduktion bestimmter Normen immer auch eine Machtfrage. Identität kann also nicht zuerst kommen, um dann politische Interessen zu vertreten und in politische Aktion zu treten. Stattdessen wird Identität durch und in Handlung gebildet. Butler erarbeitet, dass diese Infrastruktur der Subjektbildung auf einer geschlechtlichen Ebene einer hierarchiebesetzten Binarität unterliegt, die jegliches Anderes von vornherein ausstreicht.

Butlers »Trouble« muss also ein anderer sein als der, den Kritiker_innen ihr attestieren. Dass gewisse Kämpfe von Frauen und Queers auch innerhalb der juristischen Strukturen von großer Bedeutung sind und waren, ist selbstverständlich. Der Zusammenschluss unter bestimmte Kategorien und Identitäten muss aber stets als ein strategischer verstanden werden. Doch auch diese Strategie hat ihre Unsicherheiten. Liberale Politik besteht darin, dass das Subjekt über seine Identität anerkennbar wird und seine Anerkennung zur Durchsetzung von Rechten weitergeführt werden kann. Diese Art der Politik wird aber nie die Frage stellen, wie andere Formen der gemeinsamen Organisation und des gemeinsamen Lebens möglich werden könnten. Die Bestätigung von Identität kann also nicht Ausgangspunkt der Frage nach unseren konkreten sozialen Beziehungen sein.

Kritische Perspektiven

Butlers Ansatz beruht auf der Annahme, dass Gender maßgeblich über Sprache konstruiert wird. Dieser Ausgangspunkt birgt die Gefahr einer Praxis willkürlicher Selbstbezeichnung, mit der Gender zu einem Spiel wird, das politische und soziale Machtverhältnisse unberücksichtigt lässt. So ist er dafür anfällig, in Form eines dekonstruktivistischen Feminismus in der Sphäre der bloßen Theorie zu verharren. Gleichzeitig zieht sich die Form von Identitätspolitik, die sich auf Butler bezieht, auf eine so partikularistische und individualistische Ebene zurück, dass gemeinsame Organisation und kollektives Handeln verunmöglicht werden. Damit schwankt die Interpretation zwischen einem entpolitisierten, akademischen Spiel mit Signifikanten und dem Wunsch nach Handlungsoptionen, der aber schnell wieder in Kategorien der Identität überführt wird, gegen die Butler doch eigentlich anarbeitet.

Diesen Kritiken lässt sich entgegnen, dass der Bruch mit bestehenden Signifikationsprozessen laut Butler immer in einer konkreten politischen Situation kontextualisiert und als Situierung in herrschenden Verhältnissen eingeordnet werden muss. Der Bruch darf also weder als individuelle Entscheidung noch als völlig frei verfügbar verstanden werden. Anstatt Pluralisierung im Sinne partikularistischer Interessen und Identitäten zu verstehen, lässt sie sich also in einer Form sich neu organisierender Kollektivierung gemeinsamer Interessen lesen. Dieses Verständnis von Butlers Konzepten sowie eine Ausweitung auf Fragen der Performativität von street politics, lässt sich beispielsweise in dem 2018 erschienenen Text Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung nachlesen. Dort werden ethische Fragen nach der Begegnung mit dem Anderen und politische Fragen nach der Gestaltung des gemeinsamen guten Lebens gestellt.

Körperallianzen auf der Straße

Das Buch geht von zwei Fragestellungen aus: erstens der Frage danach, wer als Subjekt gilt und somit öffentlich auftreten, auf die Straße gehen und dadurch Politik betreiben kann; und zweitens der Frage, in welcher Weise Allianzen »nicht unbedingt eine kollektive Identität, aber eine Reihe von ermöglichenden und dynamischen Beziehungen, darunter Unterstützung, Streit, Bruch, Freude und Solidarität«[1] erfordern.

Butler verknüpft diese Möglichkeiten der Allianzen mit der körperlichen Forderung, die durch die auf der Straße erscheinenden Subjekte ausgeübt wird: »Wir könnten in solchen Massendemonstrationen eine kollektive Ablehnung der gesellschaftlich und wirtschaftlich bedingten Prekarität sehen. Was wir aber vor allem sehen, wenn Körper auf Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten zusammenkommen, ist die – wenn man so will, performative – Ausübung des Rechts zu erscheinen, eine körperliche Forderung nach besseren Lebensbedingungen.«[2]

Die Bestimmung dessen, wer auf der Straße erscheinen kann, und wer als Subjekt anerkannt wird, wird dadurch ausgelotet, dass dieser Erscheinungsraum im Moment des Erscheinens gedehnt, ausgearbeitet und verschoben wird. Verschiedene Subjekte kommen auf eine unterschiedliche Art und Weise für die Anerkennung infrage: Für das Recht des Erscheinens einer einzelnen Person braucht es einen kollektiven Zusammenschluss aus Menschen, die für diese Person einstehen. Somit ist es das politische Bestreben dieses Zusammenschlusses, für ein lebbares Leben für alle einzustehen: Diese Form der Organisation geht aber nicht von einem gemeinsamen (identitätsgebundenen) Startpunkt aus, sondern setzt sich vielmehr zusammen für ein gemeinsames Ziel ein. Ausgehend von der grundsätzlichen gegenseitigen Abhängigkeit der Menschen – von Infrastrukturen, von Beziehungen, von ökonomischen wie sozialen Netzen – muss die Frage gestellt werden: Was ist ein lebbares Leben, für wen gilt dieses und für wen nicht? »Wer wird Opfer von Polizeigewalt? Wessen Verletzungsbehauptungen werden zurückgewiesen und wer wird stigmatisiert?«[3]

Worauf läuft der Trouble hinaus?

Butlers Verhandlung der Allianzen von Körpern auf der Straße und die Frage nach den damit einhergehenden Körperpolitiken knüpft an die 1990 in Gender Trouble erarbeiteten theoretischen Grundlagen an und ermöglicht somit eine Antwort auf zumindest einige der Kritiken, die den Text als Spiel mit Signifikanten, als unpolitisch oder als unverständlich bezeichnet haben. In der Konkretisierung, Politisierung und Historisierung zeigen sich die Bestimmungen von Subjekt, Autonomie und Handlungsmacht immer mit den Macht- und Hierarchieverhältnissen verstrickt, die sie umgeben. Die Frage lautet nicht mehr nur, wie sich Subjektivierung in einem diskursiven Prozess vollzieht, sondern auch, in welchem Raum und für wen diese Subjektivierung sich überhaupt vollziehen kann.

Die Ausgangsfrage von Gender Trouble nach einem Subjekt, das erst in und durch diese Prozesse der Erzählung und Zuschreibung entsteht und sich somit nicht als Identität festschreiben lässt, wird auch für die Frage nach Allianzen unumgänglich: Keine Identitätspolitik, die sich auf festgeschriebene Identitäten beruft und anhand dieser die Subjekte kategorisiert, wird progressive Politik im Sinne Butlers machen können. Stattdessen stellt sich mit Butler die Frage, wie Handlungsstrategien aufgrund geteilter Prekarität und im Wissen um die relationale Verbundenheit der Subjekte gestaltet werden können. So lässt sich entlang der Kritiken an Butlers Theorie eine produktive Lesart festhalten, welche die besprochenen Fallstricke überspringt: Diesem Verständnis hat es einerseits um eine soziale Kontextualisierung und damit auch Dekonstruktion von starren geschlechtlichen Identitätskategorien zu gehen, andererseits muss es immer auch die Frage stellen, welche Handlungsoptionen generiert und welche politischen Räume gestaltet werden.

Wie können feministische Zusammenschlüsse und Kämpfe kollektiviert werden, die Handlungsräume eröffnen? Wie sinnvoll ist es, die Identitäten zu affirmieren, die uns von außen zugeschrieben werden und uns im bestehenden System subjektivieren, nur um sie danach wieder aufzulösen? Heißt das nicht, sich innerhalb eines politischen Rahmens zu bewegen, den man eigentlich überwinden will? Um die Potentiale für Allianzen zu unterstreichen, die das gute Leben für alle anvisieren, müssen wir uns die Frage nach der Basis stellen, aufgrund derer sich verschiedene feministische Kämpfe zusammenschließen können. Ziel muss es sein, Kooperationen, Organisierung und Beziehungsweisen aufzubauen, die sich auf geteilte politische Forderungen, Strategien und konvergierende Handlungsweisen gründen.

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[1] Judith Butler: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Berlin: Suhrkamp, 2018, S. 41.

[2] Ebd. S. 37.

[3] Ebd., S. 50f.