»Nazis trauen sich hier in die Öffentlichkeit.« – HUch online

Am 10. März erreichte den Studierendenrat in Halle eine mutmaßlich neonazistische Morddrohung gegen einen ihrer Vertreter_innen, Lukas Wanke. Wir haben mit Lukas über den Vorfall gesprochen.

Wer bist Du und welche Position hast Du an der Uni Halle?

Ich bin Lukas Wanke und studiere im 15. Semester Geschichte und Philosophie. Ich bin einer der beiden Vorsitzenden Sprecher vom Studierendenrat (StuRa). Der StuRa ist bei uns eine Mischung aus Studierendenparlament und AStA/RefRat. Das heißt, es wird nur der StuRa gewählt, welcher sich dann selbst ein Sprecher_innenkollegium wählt. Im StuRa behandle ich verschiedene Themenfelder, darunter auch den Bereich Antifaschismus.

Du hast eine Morddrohung von Neonazis erhalten. Was steht da im Detail drin?

Die Morddrohung ist mutmaßlich neonazistisch. Sie enthält zum einen antisemitische Beschimpfungen und Schmähungen, sowie Äußerungen, die nahelegen, dass man mit der »jüdischen Weltverschwörung« verbündet sei. Andererseits enthält sie einen positiven Bezug auf den antisemitischen und rassistischen Terroranschlag von Halle. Zwischen diesen antisemitischen Äußerungen wurden verschiedene Morddrohungen ausgesprochen, die, wie so oft bei rechten Morddrohungen, sehr stark an Gewaltfantasien geknüpft sind.

Ist es das erste Mal, dass Ihr im StuRa eine Morddrohung erhalten habt?

In der Form ist es das erste Mal, aber es steht in einer gewissen Tradition verschiedener Beleidigungen, die man auch durchaus als Drohungen interpretieren kann. Wir haben schon häufiger in den Kommentarspalten lokaler Medien Drohungen erhalten. Und 2017 beschäftigte sich die rechtsextreme Hetzseite Ein Prozent[1] in einem sehr erbärmlichen Artikel mit dem StuRa. In diesem Kontext kam es auch schon einmal zu einer Morddrohung. Die Drohung richtete sich allerdings nicht direkt gegen den StuRa, sondern gegen eine Person, die in diesem Artikel genannt wurde. Das heißt es gibt ein Muster, dass wir immer wieder auf rechtsextremen Portalen wie Ein Prozent oder auf AfD-nahen Seiten auftauchen und es danach zu Drohungen kommt.

Inwiefern beschäftigen sich diese Seiten mit Euch? Was wird Euch da konkret vorgeworfen?

Im Zuge der Hochschulwahlen ist bei uns eine Campus Alternative angetreten, die hier aber, wie ich es einschätzen würde, nur ein Nebenprojekt der Identitären Bewegung (IB)[2] ist. In Halle hatten wir lange Zeit eine aktive Identitäre Bewegung – zum Glück ist das weniger geworden. Als die Campus Alternative angetreten ist, startete sie mutmaßlich Kampagnen wie »Not my StuRa« oder eine Seite, auf der man unsere Projektanträge mit dazugehörigen Namen aufgeschlüsselt hat, um zu zeigen, wie viel Geld die jeweilige Person in »linksextremistische« Projekte gesteckt hätte. Bei den Projekten handelte es sich beispielsweise um »Fußball für Menschenrechte«. Es sind auch Plakate aufgetaucht, auf denen behauptet wurde, wir wären eine »linksextremistische« Organisation. 

Zum anderen wurden wir von Hans-Thomas Tillschneider – einem Landtagsabgeordneten der AfD in Sachsen-Anhalt und Mitglied des »Flügels« – wegen einer Veranstaltung, bei der wir uns kritisch mit dem Begriff der Heimat auseinandersetzen wollten, als »vaterlandslose Gesellen« beschimpft.

Am härtesten und einflussreichsten war die Hetzkampagne von Ein Prozent. Dort werden bewusst Einzelpersonen rausgepickt – zum Beispiel antifaschistische Journalist_innen oder Fotograf_innen. In ihren Hetzkampagnen geht es immer darum, wie unliebsame Personen wirklich heißen, wo sie wohnen, wo sie vermeintlich ihr Geld herkriegen, und so weiter. Es ist kein Wunder, dass entsprechende Dinge passieren, wenn eine offen rechtsextreme Seite ihrer Anhänger_innenschaft einzelne Leute zum Fraß vorwirft. Ein Prozent hat über uns einen Artikel mit dem Titel Linksextreme Verstrickungen in Halle geschrieben – der erste Teil einer Reihe. Die weiteren Teile sind zum Glück nie erschienen. Der Artikel hatte ohnehin keinerlei Substanz, sondern zeigte nur das auf, was bereits öffentlich war. Beispielsweise wurde beschrieben, dass wir Arbeitskreise zu Themen wie  Queerfeminismus oder Antifaschismus haben und denen Geld für ihr Budget geben. Ein Prozent hat dann gesagt, dass heimlich Geld für irgendwelche Projekte verpulvert  würde. 

Finden rechte Positionen in Eurer Universität Rückhalt?

Die Campus Alternative ist 2018 und 2019 als offensichtliche IB-Tarnliste zur Hochschulwahl angetreten und hat beide Male einen Sitz ergattern können. Sie hat ca. 600 Stimmen erhalten, aber jeder Studi hat sechs Stimmen für den StuRa und kann bis zu zwei Stimmen auf eine_n Kandidat_in verteilen, wenn man davon ausgeht, dass nur »Überzeugte« die Campus Alternative gewählt haben, kommt man auf 100 Wähler_innen, die insgesamt 600 Stimmen haben. Aber es können natürlich auch etwas mehr oder weniger sein, deshalb hielte ich alles von 80 bis 150 Wähler_innen für realistisch. Als StuRa müssen wir natürlich sagen, dass da etwas versagt hat, wenn die Campus Alternative es schafft, bei uns zweimal hintereinander gewählt zu werden, während sie sich an fast allen anderen Hochschulstandorten inzwischen wieder aufgelöst hat. Es gibt offensichtlich einen Kern von festen Sympathisierenden, die aktiv zur Wahl gehen. Wahrscheinlich gibt es aber im Schnitt mehr Studis, die gut finden, was sie machen. Eine IB-Liste wählt natürlich niemand, weil die Person die Opposition stärken will oder dergleichen. Das geschieht aus Überzeugung. Das ist auch an anderen Hochschulen so – nur ist die Frage, warum wir es nicht geschafft haben, dass die einfach aufgeben. Noch vor einem Jahr hätte ich jedoch negativer darüber gesprochen. Jetzt ist es nämlich so, dass die Campus Alternative ihre Aktivitäten im Wesentlichen eingestellt hat. Ihr_e Vertreter_in war während der ganzen Wahlperiode gar nicht im StuRa anwesend. Das heißt, in gewisser Weise haben sie doch aufgegeben. Aber ihr Wahlantritt war ja von vornherein – wie so oft bei der IB – eher ein PR-Auftritt. Sie treten an mit der Devise: »wir übernehmen den Studierendenrat als kritische Opposition« – und dann sagen sie dort nichts, stellen keine Anträge, kommen nicht zu Sitzungen und enthalten sich bei den meisten Sachen. Die Campus Alternative wendet sich also jetzt wahrscheinlich anderen Sachen zu – oder sie ist von der aktuellen Krise der IB beeinträchtigt. 

Hast Du die Befürchtung, dass sich – auch im Zuge der Morddrohung gegen Dich – eine politische Kultur der Gewalt am Campus festsetzen könnte?

Ich glaube, dass es unter den politisch Aktiven am Campus eher solidarisch zugeht. Die Campus Alternative ist dort ja gar nicht präsent. Wenn sie nun aber die Morddrohung verurteilen würden, ganz wie es sich parlamentarisch gehört, würde ich das aufs Schärfste ablehnen. Man kann nicht gleichzeitig Ein Prozent-Artikel teilen und rechte Morddrohungen verurteilen. Insgesamt ist die Stimmung auf dem Campus aber vernünftig – also hätte ich dahingehend keine Befürchtungen.

Meine Befürchtungen beziehen sich eher auf das, was generell in Halle passiert. Nazis trauen sich hier gerade mit vielen Morddrohungen an die Öffentlichkeit, beispielsweise gegen Karamba Diaby, einen Bundestagsabgeordneten der SPD.

Wie waren die Reaktionen aus der Universität und Politik auf die Morddrohung gegen Dich?

Wir haben die Universitätsleitung intern darüber informiert. Auf Anfrage der Mitteldeutschen Zeitung hat die Universität den Vorfall dann auch verurteilt und sich mit mir solidarisiert. Dabei haben sie aber keine politische Einordnung vorgenommen, was die Uni in Ermittlungsverfahren jedoch generell nicht macht. Im Internet meinten relativ viele Personen schreiben zu müssen, dass die Morddrohung erfunden wäre – aber das ist ja eher üblich. Ansonsten haben sich von SPD bis Linksaußen alle dazu geäußert, auch einige Studierendenschaften. Da wurden viele vernünftige Texte geschrieben. Man merkt natürlich dass es vor allem die Leute interessiert, die sich links der Mitte verorten und sich kritisch mit Faschismus beschäftigen. Trotzdem haben sich auch einige Kritiker_innen des StuRa, die uns sonst nicht wohlgesonnen sind, glaubwürdig solidarisiert.

Hat der faschistische Anschlag im Oktober 2019 die politische Stimmung am Campus verändert oder polarisiert?

Ja. Es gab eine große Betroffenheit. Menschen, die sich zuvor nicht einer dezidiert antifaschistischen oder linken Haltung zugeordnet haben, lehnen jetzt Personen, die rechte Positionen oder Ideologiefragmente der extremen Rechten von sich geben, deutlicher ab. Durch die praktische Ausübung rechter Gewalt hat ein Umdenken eingesetzt. In Halle gab es aber das Problem, dass schnell von der Betroffenheit wieder zum Alltag übergegangen wurde. Es wird sich zeigen, wie man in Zukunft mit der Frage des Gedenkens umgehen wird.

Wie sollten Universität und Politik in Bezug auf die Morddrohung handeln? Was haben sie bereits gemacht?

Es gibt generell einen Anstieg an Morddrohungen gegen linke Gruppen oder antifaschistische Einzelpersonen. Da muss die Landespolitik entsprechend ihre Sicherheitsbehörden sensibilisieren, sodass sie stärker gegen bewaffnete Rechtsextreme vorgehen, die es hier in Sachsen-Anhalt gibt. Da muss geltendes Recht durchgesetzt werden. Zum anderen müssen sie einsehen, dass der rechte Terror hier ein größeres Problem ist als z.B. eine autonome Gruppe. Gerade nach dem Attentat muss es jetzt in die Offensive gegen rechtsextreme Kräfte gehen. Das gilt auch für die Stadtpolitik. Dort passiert zwar schon einiges, z.B. durch das Bündnis »Halle gegen Rechts« – es kann aber durchaus noch mehr geschehen. 

Die Uni hat sich zwar immer schon gegen rechte Strukturen ausgesprochen, will aber natürlich immer etwas Neutralität wahren. Sie könnte durchaus mehr in die Offensive gehen, aber das hätte ich mir auch unabhängig von der Morddrohung gewünscht.

Das Interview führte Tilman Bärwolff


[1] Der Verein »Ein Prozent für unser Land« ist ein rechtsradikaler Verein, der 2015 vom Institut für Staatspolitik, dem rechten Magazin Compact, sowie Politiker_innen der AfD gegründet wurde.

[2] Die Identitäre Bewegung ist eine völkische und rechtsradikale bundesweit agierende Gruppe, die immer wieder durch provokante Aktionen auffällt.