„Für die Revolution zu kämpfen ist Liebe“

| von Emilia Stemmler |

Nia2161 hat Wut im Bauch und radikale softness für ihre comrades im Herzen. Im Interview spricht Nia2161 über die Wichtigkeit von space für sich allein, dem Support von organisierten Genoss_innen, und was sich in der Musikindustrie ändern muss, um endlich Raum für revolutionäre, schwarze FLINTA zu machen.

Bild: frieedland

Unter einem deiner Instagram-Posts steht, „We all have our purpose in this revolution and this is mine.“ Was ist dein purpose und wie hast du ihn gefunden?

Ich musste mainly dem folgen, was um mich herum passiert ist und einfach annehmen, wo ich gelandet bin. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben mich leitet. Auch meine Vorfahren spielen da eine Rolle. Was mich inspiriert hat, waren auch meine Eltern oder andere revolutionäre Rapper_innen. Meine Eltern haben schon vor meiner Geburt um die Wette gerappt, zu CL Smooth und anderen richtigen Oldschool Rappern. Tupac war Teil meines Aufwachsens. Dass das mein purpose ist, ist so gekommen. Ich habe einfach Parts hochgeladen und dann konnte ich Singles machen, konnte eine EP machen, konnte auftreten. Was es dann natürlich nochmal deeper macht, ist, wie meine comrades es fühlen, was meine Musik denen bedeutet.

Wie wichtig sind dir Genoss_innen beim Texte schreiben und Musik machen?

Wenn organisierte Genoss_innen meine Musik nicht feiern würden, würde ich vielleicht auch gar nicht von so einer Art purpose reden. Mir bedeutet es sehr viel, dass nicht nur irgendwelche liberals zum Nachdenken angeregt werden, sondern, dass Leute, die politisch organisiert sind, daraus etwas ziehen können.

Musst du dich manchmal auch rausnehmen und in dich reinhören, um Tracks produzieren zu können?

Ja, das ist wichtig, und ich merke, dass es mir manchmal schwerfällt, mir Zeit für mich zu nehmen. Aber das hat auch damit zu tun, dass allein sein gar nicht so gut ist, und ich auch eine lange Zeit zu viel allein war. Das lerne ich auf jeden Fall noch, mir space zu nehmen – für mich selbst, und da irgendwie eine Mitte zu finden mit community und mit meiner Kunst.

Wie schaffst du es, kapitalistische Verwertungslogik aus deiner Musik rauszuhalten? 

Vor allem im Produktionsprozess arbeiten mein Producer und ich fast komplett ohne Deadlines. Das hätte sich verändert, wenn ich bei einem kleinen Label gesigned wäre. Klar hätte man manchmal gerne Unterstützung, um dem nachzukommen, was so einer Rapfigur heutzutage gerecht wird. Aber das würde auch bedeuten, genau dieser Verwertungslogik zu folgen: Was für Zahlen bringe ich dann, und was macht das mit mir selbst und wofür steht dieses Label, unter dem ich dann arbeite? Wenn es politisch auseinandergeht bei bestimmten Themen, dann funktioniert es auch nicht. Ich kann nicht sagen, ich setze mich jetzt hin, schreibe einen Text und nehme mir irgendein Thema raus. Es muss natürlich sein und ich muss die Zeit für mich selbst haben. Das Ziel war auch nie der Mainstream, sondern Leute erreichen, die es gebrauchen können. Klar hilft für viel Reichweite ein ausgefeilter Marketingplan – aber ich weiß, ich kann gerade nicht mehr erwarten als, dass Leute, die meine Musik finden und hören sollen, sie finden und hören. Das ist vielleicht dieses Vertrauen in den purpose und das Wissen über das Business.

Hättest du bei einem Label mehr Druck? Oder müsstest dich deradikalisieren?

Ich denke, das kommt drauf an, wo du dann signst. Aber ich glaube, es gibt kein so stabiles Label, das mich komplett tragen würde. Der Druck ist automatisch da, weil man auch überlegt, irgendwann mal zu featuren. Mit wem kann man zusammenarbeiten? Vor allem schrecken auch gesignte Leute vor Radikalität eher zurück. Und deswegen denke ich mir: Ich bin schon vermummt, dann kann ich auch 100 Prozent für das einstehen, woran ich glaube.

Hast du Feature-Anfragen bekommen, bei denen du deshalb keinen Bock auf den Part hattest?

Das waren tatsächlich meine Anfänge. Vor vielen, vielen Jahren habe ich schon mal versucht, in der Rap-Szene Fuß zu fassen, und ich kannte ein paar Süd-Berliner Rapper. Die fanden das, worüber ich schon damals gesprochen hab, nicht wichtig. Sie haben mir zwar die Möglichkeit gegeben zu partizipieren, aber nur als die Alte, die auf dem Rücksitz…Ich habe das erst auch ein bisschen mitgemacht. Aber at some point habe ich gemerkt, dass das eigentlich überhaupt nicht das ist, von dem ich will, was Leute das zum ersten Mal von mir hören. Weil ich die Ressourcen sonst nicht hatte, dachte ich, ich muss Rap deswegen auch lassen. Ich bin so froh, dass es jetzt anders gekommen ist.

Wie kam es anders?

Ein comrade von mir hat 2020 einfach gesagt, lad‘ jetzt dieses Video hoch, lad‘ hoch, wie du rappst. Er hat mich nicht gezwungen, aber er hat mich schon doll gepusht. Ich hätte es von mir aus nicht nochmal versucht.

Ist es in der deutschen Musikindustrie nochmal schwerer, vor allem für Schwarze FLINTA, sich Sichtbarkeit zu erkämpfen?

Ja, sowieso. Vor allem Leute, die in der Szene schon Fuß gefasst haben, können bestimmen, welche Inhalte und was für Menschen als Nächstes kommen. Wenn die andere Vorstellungen haben, können sie schon aktiv Menschen unterdrücken im Business. Wenn du in deiner Familie Geld hast und revolutionäre Musik machen willst, kannst du es einfacher machen. Du kannst Videos droppen, Leute bezahlen. Zeig mir in Deutschland radikale schwarze Rap-Artists.

Du nutzt verschiedene Samples auf deiner Platte, die auf schwarzen Aktivismus, die Black Panther Party und politische Kämpfe eingehen. Wie fügt sich für dich die Musik in deinen politischen Aktivismus ein?

Also, meine Musik ist probably Aktivismus in a way. Ohne politisch organisiert zu sein, könnte ich meine Musik, wie ich sie jetzt mache, gar nicht machen. Wir hassen nämlich Poser. (lacht)

War das für dich von Anfang an Priorität oder ist das durch deine zunehmende Politisierung immer wichtiger geworden?

Auf jeden Fall ist das wichtiger geworden. Früher hatte ich nicht so viel Theorie-Wissen. Damals habe ich gespürt, irgendwas läuft komplett falsch, aber ich konnte es nicht richtig in Worte fassen. Ein paar Rapper_innen gab es damals schon in Deutschland, die ein bisschen linke Musik von unten gemacht haben. Aber die haben auch immer den Fehler gemacht, nicht auf eine mögliche Revolution hinzuweisen. Es fehlte dieser Lösungsweg, das war eher ein Abfinden. Ich glaube, dass so Theorie-Wissen ein bisschen hilft und auch mir geholfen hat.

Was hat dir dabei geholfen, Zugänge zu diesem Wissen zu finden? 

Ich glaube, was mich dahin geleitet hat, war Pan-African-Knowledge. Mein Dad hier hat viel Reggae gehört, da wird viel Wissen transportiert über den Kolonialismus. Sachen, die uns in der Schule jedenfalls nicht gesagt wurden. Irgendwann habe ich die Verbindung gemacht zu einem gemeinsamen Proletariat und der Ausbeutung von Arbeiter_innen. Ich glaube, das hat mich verstehen lassen, dass Kapitalismus das Problem ist. Meine Leute haben dabei auch eine Rolle gespielt und Interesse an alternativen Systemen wie zum Beispiel Kommunismus, an revolutionären Kämpfen.

Gibt es Raum für Klassenkampf in der Industrie?

Klassenkampf kommt von unten, die Industrie ist oben und damit auf der Seite des Feindes. Klassenkämpferischer Rap ist in meinen Augen fast automatisch Untergrund. Original Hip-Hop ist für mich ein Tool von workers für workers. Ich glaube nicht, dass irgendein rich ass Mainstream-Rapper groß klassenkämpferische Musik über sein Millionenlabel droppt.

Ich glaube, die Industrie wird sich nicht erinnern wollen, wer die meisten Musikgenres erfunden und geprägt hat, und sie hat auch kein Interesse daran, die Bedeutung dieser Ursprünge wieder aufleben zu lassen. 

Du solidarisierst dich mit und supportest andere mehfachmarginalisierte FLINTA-Artists. Warum bedienst du nicht den Individualismus der Industrie?

Das ist ein guter Punkt. Vor allem liegt es an der Ignoranz der Leute, die Macht haben – also Labels, Booker, andere Mainstream-Rapper_innen, die talentierte FLINTA ignorieren. Aber es liegt definitiv auch am mangelnden Support unter Artists. Also uns hier unten ist klar, wie es funktioniert mit Klicks, mit Likes, mit Follows, mit Streams und so weiter. Wenn Menschen das wirklich wollten, könnten mehrfach-marginalisierte Menschen schon längst mehr gehört werden. Aber manchen ist dann der Down-Move zu schade und die supporten dann doch lieber den Poser-Typen mit schicken Videos, der sich Klassenbewusstsein und Betroffenheit wie ein Kostüm anzieht. Die Solidarität untereinander hat großen Einfluss darauf, wer am Ende gehört wird, wer gesehen wird. Das hängt schon zusammen, auch wenn die Unterdrückung klar von der Industrie ausgeht. Wir haben auch Mittel und könnten zusammen dagegen besser vorgehen. Die black Artists, die ich kenne, versuchen schon, sich gegenseitig zu supporten. Aber was bringt es black Artists. uns untereinander durchzupushen, wenn keiner das mit aufnimmt?

Was muss sich an den Räumen ändern, damit mehrfach-marginalisierte Künstler_innen die Bühnen bekommen, die sie verdienen?

Es sollte aktiv Leuten Raum gegeben werden, die bestimmte Erfahrungen vermitteln, die aus marginalisierten Perspektiven sprechen. Beispielsweise sind Männer im Rap etabliert, die sind da und die haben es auch nicht schwer. Warum solltest du, wenn du Räume hast und die Möglichkeit, diese Räume zu schmücken, weiter diese Leute supporten, die vielleicht gar nicht passen? In Dessau zum Beispiel hätten Menschen vermutlich gerne Artists gesehen, die von ähnlicher Marginalisierung betroffen sind, wie es auch Oury Jalloh war.

Du hast eine Line, in der du sagst, ohne wahre Liebe würde es dich nicht geben. Welche Arbeit steckt für dich hinter wahrer Liebe?

Auf jeden Fall eine Menge Arbeit. Meinen comrades und mir wird immer mehr klar, dass in isolierenden Zeiten wie dem Spätkapitalismus aufeinanderzugehen, Fehler einzusehen und sich zu entscheiden, weiter füreinanderdazusein, revolutionär ist. Wir brauchen uns. Gegen Individualismus vorzugehen ist Arbeit und für die Revolution zu kämpfen ist Liebe.

Außer Dystopie ist jetzt, was ist der Soundtrack für die Revolution? 

Also für mich auf jeden Fall die Musik von black Femmes. Das ist in vielen Fällen Musik von unten und die bedeutet: Mut zu Gefühlen und Mut zur Veränderung. Ich habe eine Goddesses Playlist, wo 40 Stunden Musik von black Femmes drauf ist. black Femmes, die Soul-Musik machen, viel fühlen, mich zurückholen, mich dran erinnern, dass ich in diesem System ein Mensch mit Gefühlen bin und gerne ein gerechtes Leben hätte.

Dystopie ist jetzt von Nia2161 könnt ihr hier hören: https://open.spotify.com/album/0PXXi14rI3yAumST8JRkEK

Mehr von Nia2161 findet ihr auf Instagram @n.i.a.2161 und auf Twitter @nia2161