Der Wunsch nach Unheil – HUch#92

| von Hannah Noa |

Die Funktionsweisen und Strukturen neurechter Onlinemedien gilt es in ihrer Tragweite und Einflussnahme zu beobachten und analysieren. Eine Nachrichtenkommunikation, wie sie der publizistische Arm der Neuen Rechten betreibt, transportiert täglich faschistische Logiken und hetzerische Ressentiments, indem er sie in seiner Berichterstattung in Kausalbeziehung zum tagespolitischen Geschehen setzt. Digitale Räume dürfen in Präventionsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus nicht ausgeklammert werden und die narrativen Zerrbilder vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Gesellschaftsverhältnisse müssen von links konterkariert werden.

Bild: Loup Deflandre

Wir begeben uns täglich in digitale Räume, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten oder um Medien zu konsumieren. Die Entscheidung dazu geht beinahe intuitiv und unbewusst vonstatten. Dort angekommen geht es ähnlich bedenkenlos weiter. Die Bandbreite an Inhalten in diesen Räumen lässt sich im Vorhinein nur schwer eingrenzen und oftmals steht das Bewusstsein darüber, was lieber ungesehen geblieben wäre, am Ende des Ablaufs. Zu oft gab es sie schon, diese Morgen: Die Augen sind noch müde, gerade noch im Traum gewesen roll‘ ich mich rüber zu den Schlagzeilen über einen Anschlag oder rekordverdächtige Inzidenzwerte. Oder ich habe vorsätzlich bis zum Frühstück gewartet, um dann doch einen kurzen Blick auf die Twitter Timeline zu werfen und habe mit einem Mal Ulf Poschardt neben mir sitzen, der haltlos ein Hufeisen so laut auf den Tisch knallt, dass die Tassen klirren und den Rest des Tages ein leichter Tinnitus bleibt.

Vom Internet geht schon lange eine große gesellschaftspolitische Bedeutung aus. Nur vereinzelte Stimmen würden diese wohl noch ernsthaft bestreiten wollen und trotzdem wird sie ihm nicht genügend beigemessen. Die Potenziale von Sozialen Medien werden oft auf ihren popkulturellen Gehalt reduziert oder von Kulturpessimist_innen als beliebte Symptomträger für alle gegenwärtigen Probleme verhandelt. Pop ist cool, aber die inhaltliche Tragweite von digitalen Räumen geht weit darüber hinaus: Likes und Shares nehmen nicht selten einen ähnlichen Einfluss darauf, welche Themen mit Relevanz versehen werden, wie Bundestags- oder Feuilletondebatten. Sie sind prägend für den politischen Diskurs und somit spielen sich auch Prozesse der Meinungsbildung und Politisierung vermehrt digital ab. Das »real life« wird immer mehr im Internet erzählt, und das Internet materialisiert sich im »real life«. Davon auszugehen, es handle sich um zwei voneinander unabhängige Entitäten, ist daher ewiggestrig.

Neue Massenmedien ziehen auch neue Formen der Wahrnehmungsorganisation nach sich und setzen Menschen in neue Beziehungen zueinander, das beobachtete schon Walter Benjamin seinerzeit.1 Sie nehmen Einfluss darauf, welche Informationen sich reproduzieren und mit Relevanz versehen werden, worüber diskutiert wird und worüber nicht. Vor dem Zeitalter des Internets wurden Geschehnisse für eine Öffentlichkeit in ihrem Belang entlang journalistischer Normen und Mindeststandards abgewogen. Die mittlerweile so selbstverständliche Eigenschaft sozialer Medien, Blogs und Co. liegt jedoch genau darin, dass Inhalte meist ohne Prüfung durch eine redaktionelle Instanz produziert und veröffentlicht werden können. Diese Niedrigschwelligkeit und Freiheit bringt viele Vorteile mit sich, für deren progressive Nutzung sich hier unzählige Beispiele auflisten ließen. Soziale Medien ermöglichen es, hegemoniale Sprecher_innenpositionen aufzubrechen, Wissens- und Ideenproduktion von eurozentrischen und postkolonialen Institutionen zu entfesseln und Informationen einer breiteren Menge zugänglich zu machen, als es je ein Medium zuvor konnte. Marginalisierten und entrechteten Personengruppen gelingt es immer wieder, über soziale Medien ihren Realitäten und Forderungen ein Sprachrohr zu verschaffen. Auch emanzipatorischer Widerstand durch Selbstorganisation von unten oder Prozesse gesellschaftlichen Umdenkens erlebten im letzten Jahrzehnt oftmals ihre Initialzündung in digitalen Räumen.

Die soziale Teilverlagerung auf das Internet hat demnach auch Auswirkungen darauf, wie Informationen und Nachrichten rezipiert und weitergetragen werden. Im Vergleich zu analogen Medien ist die Reichweite nicht mehr durch Lokalität oder Abonnements begrenzt und potenziert sich durch die rasche Interaktionsökonomie von sozialen Medien wie von allein. Soziale Medien und Online-Zeitungen dienen einer breiteren demographischen Skala als vorrangige Informationsquellen und lassen Fernsehen und Printmedien nicht nur sprichwörtlich alt aussehen.

Was aber, wenn Informationen vorsätzlich ausgespart und Nachrichten ihrem Kontext entrissen werden, um sie mit verschwörungsideologischem und rassistischem Gehalt zu versehen? Wenn Berichterstattung dazu dient, faschistische Logiken zu plausibilisieren, anstatt aufzuklären? Eine Schattenseite sozialer Medien als demokratischer Hoffnungsträger ist die, dass sie sich ebenso als Angelbecken rechtsextremer Rekrutierung und Propaganda eignen. Ihre Möglichkeiten sind somit auch zum zentralen Motiv politischen Handelns geworden, insbesondere durch die Emotionalisierung von Nachrichten.

Viele Onlinemedien der Neuen Rechten »geben vor, Nachrichten zu liefern, die anderswo verschwiegen werden.«2 Sie speisen die immer gleichen Feindbilder und Bedrohungsmythen in ihre Berichterstattung ein mit dem Ziel, sie zu normalisieren und das Bewusstsein ihrer Rezipient_innen langfristig zu beeinflussen. Die Autor_innen dieser Online-Zeitungen erwecken den Eindruck, dass ihre journalistischen Beiträge zum alleinigen Ziel haben, ihre Leser_innenschaft in Alarmbereitschaft und einem andauernden Ausnahmezustand zu halten. Den Effekt von kompromisslosen Aufmerksamkeitsbemühungen der extrem Rechten beschreibt Bernhard Weidinger: »Was Leser- und Seher_innenzahlen in die Höhe treiben soll, macht die Konsument_innen gleichzeitig anfälliger für die immer gleichen ›Lösungen von rechts: abwerten und aufrüsten, ausgrenzen und einmauern.«,3 womit er auch Boulevard-Zeitungen der rhetorischen Beihilfe bezichtigt. Kriterien der Wahrheitsfindung für eine informierte Aufgeklärtheit von Leser_innen, die einem demokratischen Medienschaffen als Grundlage dienen sollten, werden damit untergraben. Die eigene Weltanschauung wird zum Maßstab für die Überprüfung von Fakten, während alles, was die gefühlten Wahrheiten nicht bestätigt, als Verschwörung empfunden wird.4 Entlang von Selbstimmunisierung und Leugnungsreflexen entflammte in der Coronapandemie eine alte Liebe zwischen Rechtsextremismus und Verschwörungsideologie.

Die Inszenierung von Angst und Bedrohung ist darin ein zentrales Mittel. Sie fügt sich in das Muster tradierter Faschismen ein, die sich an den jeweiligen Massenmedien ihrer Zeit bedienten. Die Beschwörung eines nationalen Niedergangs, Szenarien eines Volkstods oder einer Umvolkung entlang rassistischer und antisemitischer Erzählungen über Film und Radio dienten der NSDAP dazu, ihre faschistischen Fantasien zu propagieren und Gräueltaten politisch zu legitimieren. Theodor W. Adorno konstatierte der reißerischen Demagogie neurechter Akteur_innen im Kontext zunehmender Wahlerfolge der NPD im Jahr 1967 einen »Wunsch nach Unheil«,5 der insofern zentral ist, als sie aus der beschworenen Katastrophe ihre Existenzberechtigung schöpfen, um sich in der Konsequenz als »Retter der bedrohten Nation« inszenieren zu können.6

Die strategische Nützlichkeit, die für rechtsextreme Ideologie von der Aneignung von Medien ausgeht, ist also an sich kein neues Phänomen. Wie sie sich jedoch durch Online-Kommunikation und digitale Medien aktuell wieder in realpolitisches Kapital wandelt und neue Formen von rechtsextremem Aktivismus hervorbringt, ist ein zentraler Untersuchungsgegenstand der aktuellen Rechtsextremismusforschung. Um die heutigen Entwicklungen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Anfänge des Modernisierungsprozesses neonazistischer Organisierung.

Nazipropaganda im Netz – how it started, how it’s going

Als Bill Gates das Internet 1993 als »nur einen Hype« bezeichnete, hatten technisch versierte Neonazis bereits das Computernetzwerk ›Thule Netz‹ gegründet. Es bestand aus Computer-Mailboxen, in die sich per Modem bundesweit Neonazis einwählen konnten, um Daten auszutauschen und verschlüsselt zu kommunizieren.7 Im Jahr 1995 gründete ein ehemaliges Ku-Klux-Klan-Mitglied das Forum »Stormfront«. Es bot einen Umschlagplatz für Waffen und Informationen für militante Rechtsextreme. NPD-Chef Udo Voigt ernannte 1996 »die verstärkte Nutzung« des Internets zu einem »Hauptziel der Partei«. (Zur Erinnerung: Angela Merkel erklärte das Internet nicht ungefähr zur selben Zeit zum Neuland, sondern 17 Jahre später). Manche Dinge ändern sich nie: Schon damals setzte der Verfassungsschutz bei seinen Mitarbeiter_innen auf praktische Erfahrung im rechtsextremen Milieu, sowie ideologische Kongruenz. So zahlte das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ihrem »verdeckten Ermittler« Kai D., dessen rechtsterroristisches Umfeld bis zum NSU reichte, über einen Zeitraum von zehn Jahren für den Aufbau des ›Thule Netz‹ und technisches Equipment rund 150.000 D-Mark, während dieser Anti-Antifa-Artikel und Fotos politischer Gegner_innen in das Netzwerk einspeiste und zu einem der einflussreichsten Neonazis Süddeutschlands wurde8. Auch NSU-Helfer Ralf W. verhalf der Szene zu Onlinepräsenz, indem er mit Netzspeicher24.de Neonazigruppen einen sicheren Datenspeicherplatz bot. Seitdem wächst das ›braune Netz‹ stetig an, und dies um so mehr, seit die technischen Anforderungen und Kosten eines breiten Onlineauftritts immer geringer ausfallen. Auch wenn die anfänglichen Netzwerke und Foren in ihrer technischen Umsetzung teils sperrig waren, so war ihr Vernetzungspotenzial damals schon nicht zu unterschätzen und legte den Grundstein für die digitale Infrastruktur der heute aktiven Neuen Rechten. Die Rolle des Internets erwies sich als entsprechend zentral in der Metamorphose zur Neuen Rechten. So wies die Soziologin Jessie Daniels 2009 in richtiger Annahme darauf hin, dass das Internet sich zum wichtigsten Bestätigungsfeld der Neuen Rechten entwickeln würde, mit dem ein Meinungsumschwung in rechtsextremen Kernfragen bewirkt werden sollte.

Die gezielte Indienstnahme von digitalen Medien für die politische Kommunikation der Neuen Rechten, wie wir sie gegenwärtig beobachten können, zeichnet sich durch ihre neugewonnene Öffentlichkeitswirksamkeit und Ästhetik aus: »An die Stelle verschnörkelter Frakturschriften sind hippe Internetauftritte samt Social-Media-Performances gerückt«,9 beschreibt Judith Goetz den Wandel. Ebenfalls auffällig ist das nahbare Auftreten der Neuen Rechten, das mit altnazistischer Anonymität und Konspirativität bricht und stattdessen eine offensive Medienarbeit als ihr Markenzeichen etabliert hat.10 Die bürgerliche Fassade ist darin ein strategisches Mittel, welches das schmutzige Bild der »Baseballschlägerjahre«11 übertünchen soll. Die wenigsten neurechten Akteur_innen, die in der Öffentlichkeit stehen, bezeichnen sich selbst als rechtsextrem. Außerdem ist das Bestreben heute nicht nur unterschiedliche rechte Strömungen zu erreichen, sondern die Inhalte auch einer traditionell konservativen Wähler_innenschaft schmackhaft zu machen. Dabei kommt insbesondere einer strategischen Rhetorik eine große Rolle zu. Rassismus und Hetze gegen Geflüchtete und migrantisierte Menschen werden von Rechtsintellektuellen als »Islamisierung« oder »Migrationskritik« geframed. Rechtes Gedankengut, rassistische Stereotype und faschistische Positionen sollen seriös und pluralistisch anmuten, um ihnen einen Platz im demokratischen Diskurs geltend zu machen. Erfolge mit dieser Strategie zeigen sich darin, wie ebendiese Logiken Einzug in bürgerliche Debatten erhalten, so zum Beispiel über europäische Grenzpolitik im Allgemeinen oder die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer im Besonderen. Spätestens seit Sarrazin scheinen Nationalismus und die Abwertung von Menschenleben ihre allgemeine und sagbare Berechtigung im öffentlich-politischen Diskurs zurückerlangt zu haben. In der Folge wird Antifaschismus in öffentlichen Debatten zunehmend nicht etwa als ein demokratischer Grundkonsens betrachtet, der jeglicher politischen Auseinandersetzung als tonangebendes Vorzeichen dienen sollte, sondern diskreditiert oder gar kriminalisiert.

Neue Rechte setzen auf jede Möglichkeit, die sich ihnen zur Selbstdarstellung bietet, um ihre Anschauungen in der gesellschaftlichen und politischen Debatte zu normalisieren. Die Sichtbarkeit und Selbstinszenierung in der digitalen Öffentlichkeit erscheinen dabei als umso wesentlicher.

Guten Morgen Deutschland

Sowohl den Influencer_innen, als auch der Vielzahl von Onlinemedien, Blogs, Verlagen und Magazinen der Neuen Rechten liegen weitgehend verzweigte Finanzierungs- und Unterstützungsstrukturen zugrunde, die das gesamte rechte Spektrum umfassen.

Wenn man sich auf den entsprechenden Plattformen und Webseiten bewegt,12 sind manche Verflechtungen offensichtlich, andere weniger eindeutig. Nachrichtenseiten wie Politically Incorrect, Junge Freiheit, Sezession, Philosophia Perennis oder Journalistenwatch lesen sich wie ein »publizistischer Querschnitt durch das Milieu«.13 Auf ihnen tummeln sich die Texte von Vertreter_innen unterschiedlicher Strömungen der Neuen Rechten. Es schreiben Rechtsintellektuelle, Aktivist_innen, Schriftsteller_innen, Politiker_innen oder ehemalige Journalist_innen, wie Jürgen Elsässer. Seine Artikel stehen neben denen von Götz Kubitschek, dessen Texte wiederum neben jenen Martin Sellners, Björn Höckes, Heinz-Christian Straches oder Caroline Sommerfelds.14 Wenn man es lange genug aushält, lassen sich über die Plattformen hinweg Verbindungen nachzeichnen, die von der rechtsterroristischen bis parlamentarischen Rechten reichen. Verbindungen meint hier positive Bezugnahmen, Intervieweinladungen, Finanzierung und Spenden, Werbeanzeigen, publizistische Veröffentlichungen sowie Querverweise auf andere Webseiten.

Ein Beispiel für ein bestens in dieses Netzwerk eingegliedertes Medium ist der Blog Politically Incorrect (PI-News), der vor fünfzehn Jahren von dem Grundschullehrer und rechtsextremen Aktivisten Steffan Herre gegründet wurde. Wenn man den Blog besucht, wird einem unter einer wehenden Deutschland-Flagge ein »Guten Morgen« gewünscht, zu jeder Uhrzeit. Auch wenn die schlechte Animation noch eher albern anmutet, ändert sich dieser Eindruck beim Blick auf die Ressorts schlagartig: Asyl-Irrisinn, Islamisierung Deutschlands, Migrantengewalt, Linksfaschismus oder Lügenpresse, um nur ein paar Beispiele zu nennen. In dem Teil Aktivismus werden Pegida und der Identitären Bewegung mit zig Artikeln laudiert und pathetisch von jüngsten Protestaktionen berichtet. Politically Incorrect ist einer der größten deutschen Blogs und zählte zuweilen täglich 400.000 Besucher_innen.15 Er ist eines der Stamm-Medien von Pegida und Teilen der AfD-Wähler_innenschaft.16 Der Pegida-Mitbegründer Siegfried Däbritz stand in Kontakt mit PI-News und Mitarbeiter_innen des Blogs traten bei Pegida-Demonstrationen auf.17 Doch damit der personellen Überschneidungen nicht genug: Der PI-Gründer Stefan Herre engagierte sich in der islamfeindlichen Kleinpartei Die Freiheit, genauso wie Thomas Böhm, Gründer von Journalistenwatch, einem weiterem einflussreichen Onlinemedium der Neuen Rechten. Letzteres – mittlerweile zu Jouwatchunbenannt, versteht sich als medienkritisches ›Korrektiv‹ und sieht sich dem Widerstand gegen das ›Berufsverbot‹ rechter Journalist_innen verpflichtet. Es überrascht wenig, dass auch Jouwatch aus nichts als rassistischen Parolen und Stereotypen über Geflüchtete und Muslim_innen, sowie einer gehörigen Portion Geschichtsrevisionismus besteht. Auch Jouwatch verfügt über eine bedenkliche Reichweite und zählt zu einem »der größten Onlinemedien des neurechten Spektrums«.18 Laut dem Analysedienst 10000flieserreichen die Artikel teilweise mehr Menschen als die Angebote von FAZ, SZ oder Zeit.

Die bereits erwähnte Junge Freiheit fällt auf den ersten Blick aus der Reihe. Die Ressorts lassen erst einmal nicht auf eine rechtspopulistische Linie schließen. Nach außen wird auf das einschlägige, von Rassismus und Ultranationalismus getränkte Vokabular verzichtet. Stattdessen soll der Slogan »Wochenzeitung für Debatte« in einem breiteren Publikum resonieren. Die Gesinnung wird jedoch spätestens beim Blick auf die Werbeanzeigen für nationalpatriotische Buchtitel oder Spendenaufrufe der AfD ersichtlich. Die Junge Freiheit versteht sich als nationalkonservativ und liberal. In ihrem Leitbild nennt sie die »Regeneration deutscher Identität und Deutschland als selbstbewusste Nation« ihre Vision. Auch die Junge Freiheit sieht sich selbst in einer »Korrekturfunktion marktbeherrschender Medien«. In ihren Artikeln wird sich um einen weniger polemischen Ton bemüht, intellektuelle Ausgewogenheit und kritischer Geist werden großgeschrieben. Dieselben rassistischen Stereotype und Feindbilder wie bei den Kollegen destillieren sich jedoch auch aus den Artikeln der Jungen Freiheit. In den anderen Medien weniger dominant, ist hier »Gender-Mainstreaming« ein zentrales Thema, dem zum Schutz der Kinder und der traditionellen Familie der Kampf angesagt werden müsse. Insbesondere Antifeminismus dient als diskursive Brücke zwischen der Neuen Rechten und der alten (christlichen) Konservativen. Eszter Kováts‘ und Maari Põim’s entwickelten für dieses Phänomen die analytische Metapher des symbolic glue, die eine hilfreiche Veranschaulichung davon bietet, wie die Dämonisierung der ›Gender-Ideologie‹ zu einem verbindenden Mittel zwischen Wertkonservatismus, christlichem Fundamentalismus und Rechtsextremismus geworden ist.

Gegenöffentlichkeit mit Folgen

Die genannten Nachrichtenmedien, die als Stichwortgeber der Neuen Rechten große Reichweite und Popularität genießen, stellen jedoch nur einen Teil der rechten Meinungsmache. Der Effekt einer fragmentierten Informationsöffentlichkeit potenziert sich mit der zunehmenden Funktion von Gruppenchats und Telegramkanälen als Sammelbecken für angstschürende Nachrichten, geliefert von der besagten rechtsextremen Publizistik. Darüber hinaus verfügen mittlerweile viele rechte Blogger_innen und Influencer_innen über eigene Telegramkanäle, die sie hochfrequentiert mit Einordnungen tagespolitischer Geschehnisse bespielen, welche sich in das Mosaik der Gefahren für das als bedroht empfundene ›wir‹ einfügen. Was entsteht, ist eine Gegenöffentlichkeit, in der rechtsextreme Autor_innen vermeintlich alternative Erzählungen verbreiten und dadurch eine spezielle Sicht der Wirklichkeit konstruieren.19 Der Aktionismus der Neuen Rechten, online wie offline, hat es sich zum Ziel gemacht, rhetorisch und bildsprachlich eine Mehrheit zu simulieren. Auch wenn die Aufrufzahlen und Auflagen der neurechten Medien ernst zu nehmen sind und dramatisch anwachsen, wird auf den Seiten gerne mit falschen Zahlen um sich geschmissen, um ein mehrheitlich geltendes „Volksverlangen“ zu inszenieren.

Der gefährliche Charakter rechter Onlinemedien besteht jedoch darin, dass sie eine Drohkulisse ins Unermessliche steigern, während sie in ihrer Berichterstattung Handlungsperspektiven und Ausblicke gezielt offenlassen. In den Artikeln werden rhetorische Anreize für faschistische Logiken geschaffen, wie sie die Leser_innen schließlich in den Kommentarspalten mit Gewaltfantasien und rassistischer Hetze ausbuchstabieren oder in weitere Subforen hineintragen. Androhungen von Gewalt, Terror und Mord im Netz werden von Sicherheitsbehörden viel zu oft nicht ernst genommen oder gänzlich ignoriert. Die rassistischen, antisemitischen und misogynen Pamphlete der Attentäter von Christchurch, Halle und Hanau, in der sie ihre Vorhaben androhten oder explizit offenlegten, standen bereits im Netz, bevor diese zur Tat schritten. Teile ihrer Radikalisierungsprozesse ließen sich auf Internetforen und Imageboards mit inhaltlichen Bezügen zu QAnon-, Incel- und Alt-Right-Thesen, aber eben auch auf Facebook, Twitter und Messengerdiensten nachvollziehen.

Trotz folgenschwerer Beispiele rechtsextremen Terrors werden Androhungen im Netz seitens der Plattformbetreiber_innen und Sicherheitsbehörden bagatellisiert oder noch immer nicht klar als solche identifiziert. Auch etablierte Medien tragen zur Verharmlosung bei, indem sie Täter_innen von den (digitalen) Strukturen, aus denen sie Zuspruch und Legitimität schöpfen, loslösen und individualisieren. Wenn rechtsextreme Täter_innen, die sich im Netz radikalisiert haben, medial als isolierte Einzelgänger_innen geframed werden, wird nicht nur die Kontinuität ihrer Taten im Kontext von Rechtsextremismus in Deutschland verkannt, sondern auch das Radikalisierungssystem aus rechtsextremen Medien, Blogs und Chatgruppen ignoriert, das den rhetorischen Nährboden für diese Taten bereitet. Klar wird bei der Analyse rechter Onlinemedien, auch im Lichte online entstandener verschwörungsideologischer Massenbewegungen: Eine Trennlinie zwischen digitalen und analogen Sphären als voneinander losgelösten Handlungsfeldern von rechtsextremen Akteur_innen darf nicht gezogen werden.

Wunsch nach (Für-)Sorge

Wie schnell die digitale Radikalisierung in handfeste Gewalt umschlägt, darf nicht unterschätzt werden. Dies zu erkennen und entsprechende Plattformen zu beobachten und zu analysieren, muss ein wesentlicher Teil der Prävention rechtsextremistischer Gewalt und der Bekämpfung der Neuen Rechten sein. Mehr denn je braucht es eine journalistische Berichterstattung, die nicht einen Wunsch nach Unheil transportiert, sondern die komplexen Herausforderungen der Gegenwart zu verstehen gibt, um kollektive und solidarische Handlungswege sichtbar und diskutierbar zu machen. Soziale und politische Fragen dürfen nicht faschistischen Deutungsschablonen überlassen oder entlang rassistischer, ethnizistischer, antisemitischer oder antifeministischer Ressentiments essentialisiert werden. Es braucht Informationsangebote, die Widersprüche und Kontroversen kommunizieren, erklären und aushalten können, damit es auch ihre Rezipient_innen können. Der Wunsch nach Unheil muss immer von dem Wunsch nach (Für-)Sorge, Solidarität, Verständnis, Gemeinwohl, Transparenz, wissenschaftlicher Erkenntnis, Verantwortung und revolutionärer Vorstellungskraft übertönt werden, bis er verstummt.

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1 Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, in: Ders.: Gesammelte Schriften 1-2, Suhrkamp, 2017, S. 474-508.

2 Christian Fuchs, Paul Middelhoff : Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt, 2019, S. 168.

3 Vgl. Bernhard Weidinger: „Ungewollte Komplizenschaft“, in: Rechtsextremismus, Band 4: Herausforderungen für den Journalismus, Mandelbaum Verlag, 2021, S.

4 Vgl. Maik Fielitz, Holger Marcks: Digitaler Faschismus, Dudenverlag, 2020.

5 Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Suhrkamp, 2019, S. 20.

6 Christian Fuchs, Paul Middelhoff : Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt, 2019, S. 168.

7 Vgl. Toralf Staud, Johannes Radke: Das braune Netz, Bundeszentrale für politische Bildung, 2014.

8 Robert Andreasch im Magazin der rechte rand, Ausgabe 150, September / Oktober 2014.

9 Judith Goetz: „Rechtsextremismus und Medien“,in: Rechtsextremismus, Band 4: Herausforderungen für den Journalismus, Mandelbaum Verlag, 2021, S. 47.

10 Vgl. Bernhard Weidinger: „Ungewollte Komplizenschaft“, in: Ebd., S. 63.

11 Dem Titel der sechteiligen Serie Die Baseballschlägerjahre entlehnt. Zeit Online, 2020.

12 Für eine sichere Recherche empfiehlt es sich, beispielsweise den Tor-Browser zu verwenden.

13 Christian Fuchs, Paul Middelhoff : Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt, 2019, S.

14 Vgl. Christian Fuchs, Paul Middelhoff : Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt, 2019.

15 Vgl. Recherchezentrum Correctiv, 2017.

16 Eine Analyse des Bayerischen Rundfunks (BR) ergab im Dezember 2016: Pegida-Anhänger_innen informieren sich kaum noch in den klassischen Medien, sondern bei der Jungen Freiheit, Compact, RT Deutsch etc. (Vgl. Correctiv: Futter für AfD- Wähler, 2016).

17 Vgl. Christian Fuchs, Paul Middelhoff : Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt, 2019. S. 174.

18 Ebd.

19 Judith Goetz: „Rechtsextremismus und Medien“,in: Rechtsextremismus, Band 4: Herausforderungen für den Journalismus, Mandelbaum Verlag, 2021.