Inside Studienstiftung – HUch#90

| Von Ben A. Avinu |

Die Studienstiftung des deutschen Volkes, das hierzulande größte und renommierteste Stipendienwerk, ist eine Art Zauberkugel: Sie zeigt uns die zukünftige Elite der Bundesrepublik. In ihr spiegelt sich schon heute, was morgen gesellschaftliche Realität sein könnte. Wagen wir einen Blick hinein.

Illustration: elio/nora amrel

Im Ausland gilt die Studienstiftung des deutschen Volkes als die heimliche Elite-Schmiede der Bundesrepublik. Hatte man hierzulande lange Zeit vermieden, dies laut auszusprechen, ist es heute, nachdem der Eliten-Begriff in den letzten zwanzig Jahren eine Aufwertung erfahren hat, nicht mehr allzu kontrovers, festzustellen, dass das tatsächlich der Fall ist. Unter dem Dreisatz »Leistung, Initiative, Verantwortung« fördert die Studienstiftung seit 1925 Studierende und Promovierende, »von denen besondere Leistungen im Dienst der Allgemeinheit zu erwarten sind«. Sich anzusehen, wen genau die Studienstiftung für in diesem Sinne förderungswürdig hält, hieße im Umkehrschluss, eine Ahnung vom Charakter der kommenden bundesrepublikanischen Notabeln zu erhalten. Ich selbst hatte dazu jüngst Gelegenheit. Auf Umwegen in diesen illustren Kreis gelangt, fand ich mich vergangenen Sommer auf einer von der Stiftung spendierten Sprachreise wieder – und nahm dies zum Anlass, unserer Elite in spe einmal auf den Zahn zu fühlen.

Erbarmungsloser Liberalismus

Hier hält niemand mit seinen politischen Ansichten hinterm Berg, und um keinen Zweifel zu lassen, gibt man auch gleich sein selbstgewähltes Label aus wie eine Visitenkarte. So habe ich gleich am ersten Abend einige neo-conservatives und classical liberals kennengelernt. Ich hatte mich zuvor ausreichend auf Youtube herumgetrieben, um zu ahnen, dass sich hinter diesen Bezeichnungen in erster Linie gutbürgerlicher Reaktionismus verbirgt, wollte es aber genauer wissen. Für die folgenden drei Wochen, die ich mit etwa drei Dutzend anderen ›Stiftis‹ im beschaulichen Broadstairs im Südosten Englands verbringen würde, nahm ich mir also vor, meine traditionsbewussten Peers einmal aus der Nähe anzusehen.

Da wäre zum Beispiel Adam. Charmant, einnehmend, extravertiert – und maßlos arrogant. Sein absoluter Mangel an Selbstzweifel ist atemberaubend. Als Liberaler alter Schule – so sein Selbstbild – ist für ihn die heilende Macht des freien Marktes über jeden Zweifel erhaben. Entgegen jeder historischen Evidenz flötet er munter das alte Märchen von der unverbrüchlichen Allianz von Kapitalismus und liberaler Demokratie, der Vernunft des Marktes und der Privatisierung als dem Königsweg zum Glück auf Erden. Dabei ist bezeichnend, an welchen Stellen dieser hartgesottene Liberale doch auch Ausnahmen machen kann.

Gegen eine flächendeckende Videoüberwachung hat er zum Beispiel nichts einzuwenden, schütze sie doch vor Verbrechen und – für ihn das unhintergehbare Argument schlechthin – er selbst habe ja nichts zu befürchten. Auch gegen strenge Grenzregime hat er nichts, solange sie seine eigene Freiheit nicht tangieren, und die Liebe zu seiner Heimat bringt er problemlos in Einklang mit einem globalen, (bis auf den Personenverkehr) unregulierten Kapitalismus, der anderswo die Heimat unzähliger Menschen zerstört.

Universalismus, Freiheit und Menschenrechte im Munde führend, wiederholt Adam lediglich die Lüge des Liberalismus, der von Allen redet, aber nur sehr wenige meint. Alle – das sind für Adam er selbst und die, die ihm ähnlich sind. Er liebt es, wie ein kleiner General von den kommenden Interventionen der überlegenen westlichen Armeen in die rückständigen Teile der Welt zu fabulieren, von deren Bewohner_innen er im Spaß auch mal als »Biomasse« redet. Aber der Sozialismus ist ihm ein Gräuel – wegen der Millionen von Toten. Dass es unter Stalin womöglich auch ihn selbst erwischt hätte, dürfte der eigentliche Grund für seine moralische Empörung sein. Einspruch gegen Gewalt und Vernichtung erhebt Adam nur dann, wenn seine beschränkte Phantasie es ihm erlaubt, sich selbst als deren Opfer vorzustellen.

Morbide, zynisch, narzisstisch – mit diesen Zügen wäre eine künftige ‚liberale‘ Elite versehen, verstände man Adam als deren Prototyp. Welche Rolle könnte ihr in Zukunft zukommen? Sollte es auf der Erde so schlimm kommen, wie angesichts diverser sozialer und ökologischer Krisen zu befürchten ist, wäre sie wohl in der Lage, rhetorisch an humanistischen Werten festzuhalten und zugleich das zu tun, was getan werden müsste, um Europas Reichtum zu sichern – den Rest der Welt seinem Untergang preiszugeben. Gelte es, die unterlassene Hilfeleistung gegenüber Milliarden von Menschen als ein Gebot der Freiheit zu rechtfertigen, wäre Adam zur Stelle.

Wohliges Patriarchat

Ebenfalls mein Interesse geweckt hat Carl. Stets adrett gekleidet sieht er genau nach dem Spießer aus, der er in politischer Hinsicht auch ist. Carl steht für eine Alternative zu Adams Liberalismus der Härte: die Rückbesinnung auf Tradition, Glaube und Familie – oder anders ausgedrückt: Nation, Autoritarismus und Patriarchat. Nun lässt sich über Carl durchaus Positives sagen. Während Adam alles, was nicht rein instrumentell gedacht ist, als unsinnig abtut, hat Carl noch eine Idee davon, dass nicht alles in Zweck-Mittel-Relationen aufgeht. Er leugnet die Verwerfungen nicht, die die Moderne kennzeichnen, und hat eine Ahnung von der schlechten Lage, in der wir uns befinden. Was er jedoch als Lösung für die Misere anbietet, sind der Muff und die Enge der Vergangenheit. Seine Alternative zur Kälte des Marktes ist letztlich die Hölle der Kleinfamilie. Alles in allem ist der Unterschied zwischen Carl und Adam jedoch gering im Vergleich zu ihren Gemeinsamkeiten.

Beiden gelten die Versprechen der Aufklärung als längst abgegolten: wer jetzt noch Ansprüche stellt, hat den Schuss nicht gehört. Als eine Teilnehmerin im Sprach-Unterricht einmal arglos von Sexismus im Krankenhausalltag erzählte, brach die Hölle los. Im Kreuzfeuer, Carl und Adam alternierend, wurde ihr »bewiesen«, dass es sowas wie Sexismus in unseren Breiten nicht mehr gäbe und dass ihre durch und durch subjektive Anekdote der Wissenschaft nicht standhalten würde. Eine Statistik nach der anderen schüttelten sie sich aus dem Ärmel – alle sollten sie belegen, dass nicht Vorurteile, sondern tatsächliche, natürliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern nur einen falschen Eindruck von Ungerechtigkeit erzeugten. Selbst wenn man davon absieht, dass Sexismus nicht nur pay gap, sondern auch Mord und Vergewaltigung bedeutet, sind es umgekehrt gerade die suggestiven Argumente von Carl und Adam, die einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten. Hier zeigt sich die Studienstiftung als keineswegs über den Rest der Gesellschaft erhaben: Wie Millionen anderer Hanswürste auch, ziehen unsere Top-Stipendiaten, von Jordan Peterson mit einer Handvoll alberner Thesen ausgestattet, in die Welt hinaus, um den vermeintlichen Gipfel abendländischer Weisheit zu verkünden: Frauen sind anders als Männer!

Den glühenden Anti-Feminismus teilen sich Adam und Carl also. Dasselbe gilt für ihren platten Positivismus, der jeden Widerspruch logisch ausschließt. Carl, der doch eigentlich Werte hat, unterscheidet sich hierin kaum von Adam, der sich aus vollster Überzeugung selbst des Denkens entledigt hat. Beide sind sie Verfechter eines Realitätsprinzips, das den Wunsch nach einer besseren Welt nicht mehr kennt und einen solchen bei anderen als reine Sentimentalität abtut. Wenn sich Carl, dem manchmal sogar das Wort ›Gott‹ über die Lippen kommt, metaphysischer Kategorien bedient, dann in aller Regel nur um nicht über irdische Ungerechtigkeit reden zu müssen. Letztlich liegt den Anschauungen beider ein und dasselbe Prinzip zugrunde: Die Welt ist, wie sie ist. Ihre ganze Klugheit lässt sich auf diese Tautologie reduzieren.

Während Carl und Adam sich ihren knallharten Realitätssinn als Reife auslegen, sind sie paradoxerweise selbst die naiven Idealisten, über die sie glauben den Kopf zu schütteln. Ihrer Meinung nach werde die Welt nämlich von Gutmütigkeit und Moral regiert, und gerade das sei ihr Problem – so als könnte es in der Welt zu moralisch zugehen! Welche Rolle könnte eine derart verdrehte Weltsicht, in der die angeblichen Werte Europas gegen Moral und Emanzipation ausgespielt werden, in einer Zukunft spielen, in der Adams und Carls das Sagen haben? Mit ihrer Hilfe könnte vielleicht der Spagat gelingen, das herrschende System mit aller nötigen Härte und Brutalität zu verteidigen und dabei doch auch seine humanistische Fassade aufrecht zu erhalten. Carl und Adam stehen für Alternativen zum offenen Faschismus; sie sind etwas weniger hässlich und laut – seinen Job würden sie aber trotzdem erledigen.

Seichter Widerstand

Was aber ist mit den anderen Stipendiat_innen, die auch noch mit dabei waren? Die gute Nachricht ist: Die meisten von ihnen sind ziemlich in Ordnung. Politisch irgendwo leicht links der Mitte, sind sie noch empathiefähig und in der Lage, ihre Ansichten zu hinterfragen. Aber das Fehlen starker Überzeugungen paralysiert sie, wenn es gilt, den Autoritären in der Gruppe Paroli zu bieten. Von jenen niedergeredet, lassen sie die Sache lieber auf sich beruhen und wechseln das Thema. Dass beschissene politische Ansichten sozial sanktioniert werden müssen, leuchtet den meisten von ihnen leider ganz und gar nicht ein. Es reicht, dass man auch mal nett oder lustig sein kann, um nicht wegen seiner Menschenverachtung ausgeschlossen zu werden. Wer sucht schon den Konflikt, wenn das nur die Stimmung vermiest und man am Ende womöglich allein dasteht? Rechnet man diese Gruppe auf die Gesellschaft hoch, sind sie zwar die Träger_innen des Restes bürgerlicher Humanität, ein Bollwerk gegen eine schleichende Faschisierung bilden sie aber nicht.

Dann gibt es noch jene, die genauso denken wie Carl oder Adam, aber weniger eloquent sind, deshalb auch weniger reden und ihre Verachtung daher auf andere Weise pflegen. Wie die Bullys, die sie in der zehnten Klasse schon waren, machen sie sich auch heute noch über alle lustig, die irgendwie anders sind und deren Reaktion sie nicht fürchten müssen. Markiert man aber vor ihnen einmal ordentlich Revier, werden sie zu braven Schoßhündchen. Mit der zweiten Reihe zufrieden, suchen sie die Nähe der Alpha-Tierchen. In der Studienstiftung schließen künftige Demagog_innen mit ihren späteren Erfüllungsgehilf_innen auf diese Weise schon einmal Bekanntschaft.

Ein paar Linke, die sich von den Carls und Adams nichts vormachen lassen, gibt es natürlich auch noch. Dass sie aus ihrer Abneigung keinen Hehl machen, wird ihnen aber als Querulantentum angekreidet. Aus der bürgerlichen Überzeugung heraus, dass man die politische Gesinnung des Menschen aus dem Urteil über seinen Charakter herauszuhalten habe, empfindet man ihre Kritik als übertrieben hart und verdächtigt sie, nur von Ressentiment getrieben zu sein. Weil sie nicht verstanden werden und ihre selbstgewählte Isolation niemanden beeindruckt, werden sie schnell so giftig und unnahbar, wie man es von ihnen von Anfang an erwartet hat.

Was sagt uns dieser Querschnitt durch unsere zukünftige Elite nun über das wichtigste Stipendien-Werk der BRD? Gelegentlich wird der Studienstiftung vorgehalten, dass sie sowohl jemanden wie Ulrike Meinhof als auch eine Frauke Petry für förderungswürdig befunden hat, so als hätte man damit einen wunden Punkt getroffen. Das ist aber alles andere als ein Versehen – die Studienstiftung des deutschen Volkes hält bloß Wort. Weltanschaulich neutral bildet sie Eliten für alle Fälle aus. Egal was kommt, es wird Studienstiftler_innen geben, die bereit sind zu tun, was »im Dienst der Allgemeinheit« getan werden muss. Zurzeit setzt die Studienstiftung dabei nicht zuletzt auf Typen wie Adam und Carl. Die Frage aber, ob es zum Wohle der Allgemeinheit nicht eigentlich geboten wäre, zu verhindern, dass die beiden ihren historischen Moment auch tatsächlich erhalten, stellt man sich in der Studienstiftung nicht. Somit verstärkt sie lediglich bereits herrschende politische Tendenzen, egal in welche Richtung diese weisen, anstatt Partei für diejenigen Bestrebungen zu ergreifen, die unsere Gesellschaft etwas humaner machen wollen.