Warum Hochschulpolitik – HUch#87

Von Joshua Schultheis

Die ganze Provokation liegt schon im Titel. »Hochschulpolitik« ist ein Unwort in der politischen Linken, auch und vielleicht gerade unter ihren Vertreter*innen an den Universitäten. Das Nachdenken über die strategische Bedeutung der Hochschulen und das emanzipatorische Potential unter den Studierenden und Intellektuellen roch schon immer verdächtig nach Elitarismus und Klassenverrat. Auch in den 1960er Jahren, als man den Studierenden als politischem Agens eine immense Bedeutung beimaß, geschah dies nur widerwillig und quasi hinter vorgehaltener Hand.

In dem Urtext der »Neuen Linken« in den USA leitet C. Wright Mills seine These, die Studierenden und nicht mehr die Arbeiter*innen seien es, auf die die Linke ihre Hoffnungen setzen müsse, mit den Worten ein: »Lange war mir bei dieser Idee nicht wohler als vielen von euch[…]«. Das Unwohlsein ist geblieben und es ist dadurch nicht besser geworden, dass heute die meisten zeitgenössischen Einschätzungen der »Studentenbewegung« eher naiv wirken. Sowohl die Vorstellung vom »Marsch durch die Institutionen«, die mit den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition wohl ihren traurigen Schlusspunkt erreicht, als auch die in den 1970ern blutige Urständ feiernde Idee der »Propaganda der Tat« sind unrettbar diskreditiert. So sind es wohl ausgerechnet die pessimistischsten Analysen dieser Bewegung, – etwa die Theodor W. Adornos, der den »Hurra-Optimismus« seiner Studis auf deren objektive Ohnmacht zurückführte – die sich im Nachhinein als die plausibelsten erwiesen haben. Wenn man daher heute über die Uni als einen wichtigen Ort politischer Auseinandersetzung und über die Studierenden als bedeutende Träger*innen linker Politik reden möchte, hat man einen schweren Stand. Die These dieses Textes wird daher auch eher zurückhaltend ausfallen. Es wird nicht erneut das revolutionäre Subjekt »Student*in« ausgerufen, noch behauptet werden, die Universität sei ein freiheitliches Refugium und Keimzelle der besseren Gesellschaft. Stattdessen soll das Stigma, mit dem das Theoretisieren über die Chancen linker Politik an der Universität belegt ist, kritisch überprüft werden – was 50 Jahre nach »68« dringend notwendig ist – und einige Überlegungen angestellt werden, die zeigen sollen, dass diese Chancen existieren und eventuell auch größer sind als anderswo.

Mit dem Begriff »Hochschulpolitik« wird oft die Vorstellung verbunden, dass der Horizont derjenigen, die sich dieser ominösen Beschäftigung widmen, an den Mauern der Universität endet, dass sie die Universität isoliert und ohne ihren Zusammenhang mit dem »Rest« der Gesellschaft betrachten. Doch wen genau trifft dieser Vorwurf eigentlich? Noch das am bürgerlichsten anmutende Besetzungsmanifest – von denen in den letzten zehn Jahren eine Menge entstanden sind – enthält mit Sicherheit die Erkenntnis, dass Uni und Gesellschaft nicht zu trennen sind, dass eine Veränderung dort bei gleichzeitigem Stillstand hier nicht wünschenswert ist. Die Blaupause für diese Formel lieferte 1962 die SDS-Hochschuldenkschrift, deren zentrale Thesen1 seit Jahrzehnten den theoretischen Grundstock progressiver Bildungspolitiker*innen bilden. In dem Maße jedoch, in dem diese Erkenntnis Allgemeingut wird, ähnelt die Uni paradoxerweise immer mehr dem »Ganzen«, von dem man es sonst so sehr zu unterscheiden versucht. Nicht nur studieren mittlerweile ca. 50 Prozent eines Jahrgangs, das Studium, einmal als Moratorium zwischen Schule und Beruf gedacht, vereint heute das schlechteste von beidem. Strikte Lehrpläne und ständige Prüfungen gehen an der Uni eine Mesalliance mit dem Leistungs- und Konkurrenzdruck des Berufslebens ein. Burnout und vorgeschobene Midlife Crisis inklusive. Als Ort der Konzentration von Menschen einerseits und von gesellschaftlichen Konflikten andererseits kommt der Uni eine besondere strategische Bedeutung zu.2 Das gesamte politische Spektrum hat das schon lange erkannt. Dennoch sei auch hier noch einmal bekräftigt: (Linke) Hochschulpolitik ist kein Selbstzweck, sondern besitzt nur dann Legitimität, wenn sie den Anspruch Ernst nimmt, über die Institution Universität hinaus zu wirken und wenn sie politische Teilsiege an der Uni nicht mit einer Verbesserung des Ganzen verwechselt.

Der Verdacht, dass die simple Wahrheit von der Hochschule als Teil der Gesellschaft von Studierenden gerne vergessen würde, korreliert oft mit der These, dass es in der Universität grundsätzlich keinen Raum für kritisches Wissen, emanzipatorische Politik oder auch nur die geringste Möglichkeit für noch den kleinsten Dissens mit den herrschenden Verhältnissen geben kann. Politik im Zusammenhang mit der Universität kann dann nur eine Intervention von außen, aber kein Einlassen auf oder Arbeiten in den Unistrukturen bedeuten. In der Regel wird dabei so argumentiert: Die Universität ist, so wie etwa auch die Polizei, eine herrschaftsstützende Institution. Ihre Funktion ist es gerade, kritisches Wissen zu unterbinden und die Menschen zu hörigen Staatsdienern zu erziehen. Wer hier so etwas wie »Bildung« oder eine Produktion von emanzipatorischem Wissen erwartet oder verlangt, muss eine naive Idealist*in sein. An einem Ort, der einer der institutionellen Arme des Kapitals ist, kann nichts passieren, was den Interessen desselben widerspricht.

Jede Zweitsemester*, die schon einmal ein gutes Seminar besucht hat, spürt sicherlich Zweifel bezüglich dieses Gedankengangs. Und in der Tat ist ihr Bauchgefühl, dass es nicht egal sein kann, wessen Lehrveranstaltung man zu welchem Thema besucht, einem kruden Materialismus vorzuziehen.3 Es geht aber nicht darum, in Abrede zu stellen, dass die Universität in der Tat eine systemerhaltende Funktion hat. Stattdessen soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie man – auch ohne Rückfall in einen naiven Idealismus – auf einer relativen Autonomie der Vorgänge an der Universität gegenüber den materiellen Verhältnissen der Gesellschaft bestehen kann.

Für Louis Althusser4 kommt in der bürgerlichen Epoche der Schule und den Bildungsinstitutionen bei der Reproduktion der Produktionsverhältnisse, also bei der Aufrechterhaltung des Verhältnisses von Ausbeutenden zu Ausgebeuteten, die entscheidende Rolle zu.5 Schule, Universität, aber auch die Presse, Kunst, Kirche, etc. sind sogenannte »ideologische Staatsapparate«, deren modus operandi im Unterschied zu den »repressiven Staatsapparaten« (Verwaltung, Justiz, etc.) nicht in erster Linie die Gewalt, sondern die Ideologie ist. Um das System aufrecht zu erhalten braucht es beides: die Gewalt, die jeden Widerstand niederschlagen kann und die ideologische Unterweisung der Menschen, die ihn idealerweise bereits im Bewusstsein jeder Einzelnen* unterdrückt, indem sie diese im Sinne der Herrschenden handeln und denken lässt. Es leuchtet ein, dass hier den Schulen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Hier wird den Menschen ihre zukünftige Position in der Gesellschaft zugeordnet, in der man entweder Ausgebeutete*r oder Ausbeuter*in ist. Hier wird man entsprechend dieser Position zum richtigen Verhältnis zur herrschenden Ideologie erzogen, lernt man gehorchen oder befehlen. Gleichzeitig erlernt man die Fähigkeiten und Qualifikationen, die man für den späteren Beruf braucht. Die Funktion der Bildungsinstitutionen ist es also, möglichst stromlinienförmige und gut funktionierende Arbeitskräfte zu produzieren. An einem Ort, der dazu dient, den Menschen die herrschende Ideologie – und die herrschende Ideologie ist immer die Ideologie der Herrschenden – einzuimpfen, ist kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung schwer zu denken.

Ganz so einfach ist es nach Althusser dann aber doch nicht. Die ideologischen Staatsapparate sind nämlich permanent Schauplatz von Kämpfen. Die Ideologie der Herrschenden wird mit ihrer politischen Machtergreifung nicht unmittelbar und flächendeckend etabliert. Die ideologischen Staatsapparate funktionieren dadurch in aller Regel nicht ganz reibungslos. Ihre Harmonie mit den repressiven Staatsapparaten ist »manchmal knarrend«. Auch für die Schulen und Universitäten gilt: Was hier gelehrt und geforscht wird, ist nicht immer absolut deckungsgleich mit den Interessen des Kapitals und der Herrschenden. Immer leben in ihnen Reste der Ideologie der ehemals herrschenden Klasse fort, findet in sie auch das Wissen der Unterdrückten Eingang, ist die herrschende Ideologie selbst widersprüchlich.

Die Größe der Differenz zwischen den Lehr- und Forschungsinhalten in den Schulen und Unis und der herrschenden Ideologie ist also auch eine Frage des konkreten politischen Kampfes. Und es ist auch diese Differenz, die – in welchem Maße auch immer – über das Weiterbestehen von Ausbeutung und Gewalt bestimmt. Eine linke Hochschulpolitik hätte daher auch die Aufgabe, an der Vergrößerung dieser Differenz zu arbeiten. Zu diesem Zweck kann es auch sinnvoll sein, sich in einer Berufungskommission zu engagieren oder sich bei der Gestaltung der eigenen Studienordnung zu beteiligen. Wichtiger als sich die Frage zu stellen, ob das dann schon Hochschulpolitik ist, – die natürlich niemand machen möchte – ist der langfristige Zweck, den man damit verfolgt. Ohne diese Einsicht in die Ambivalenz von Bildungsinstitutionen könnte man im übrigen auch eine ganze Reihe an Phänomenen, vom Einzug der feministischen Theorie in die Unis bis zum Adorno-Seminar, kaum erklären.

Wir wechseln die Perspektive. Vom »Standpunkt der Reproduktion«, wie Althusser es nannte, auf den der Produktion. Von hier aus gesehen hat das Kapital nämlich nur ein einziges echtes Interesse: Profitmaximierung. Dieses aber scheint sich an manchen Stellen mit dem Ziel der lückenlosen Indoktrinierung der Subjekte nicht ganz zu vertragen.5 Es gibt weitere, für »höhere« Bildungsinstitutionen im Kapitalismus spezifische Widersprüche, die berücksichtigt werden müssen.6

Wir haben eben behauptet, dass eine Funktion der Schule die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften ist. An der Universität werden dementsprechend die Arbeiter*innen für die anspruchsvollsten Berufe ausgebildet, die die Gesellschaft für ihre Aufrechterhaltung benötigt. Doch je anspruchsvoller die Arbeit und je innovativer die Forschung, die verrichtet werden muss, damit eine weitere Produktivkraftsteigerung noch möglich ist, desto wichtiger sind arbeitende und forschende Subjekte, die ausgestattet sind mit Eigenschaften wie Kreativität, Selbstständigkeit und Nonkonformismus. Es ist natürlich keinesfalls so, dass sich das grundsätzlich nicht mit der herrschenden Ideologie vereinbaren lässt – im Gegenteil. Die Fahnenwörter der neoliberalen Ideologie der New Economy heißen ja gerade »Innovation«, »Eigeninitiative«, etc. Aber bei der Bildung von kreativen, selbst denkenden Menschen – wenn auch nur im funktionalen Sinne – braucht es Allgemeinbildung und Grundlagenforschung, welche wiederum langfristige Unternehmungen sind, die durch eine gewisse Unberechenbarkeit und Ergebnisoffenheit geprägt sein müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Das Kapital ist daher – um seiner eigenen langfristigen Vermehrung willen – bereit, ein gewisses Risiko bei der Reproduktion der Arbeitskräfte einzugehen. Das Kalkül könnte man folgendermaßen beschreiben: An den Universitäten werden Freiräume zugelassen, die beinhalten, dass das Studium nicht völlig reglementiert ist; dass Forschung und Lehre nicht unmittelbar verwertbar sein müssen und ihnen auch ihre langfristige Verwertbarkeit nicht unbedingt anzusehen sein muss; dass kritische und unkonventionelle Inhalte bis zu einem gewissen Grad zugelassen werden, solange dabei hochwertige und flexible Arbeitskräfte entstehen und von Zeit zu Zeit ein neuer genialer Entrepreneur à la Elon Musk. Dabei wird in Kauf genommen, dass das Bildungssystem auch »Ausschuss« produziert, der während seiner Ausbildung ein bisschen zu viel Marx abbekommen hat und dessen veredeltes Humankapital sich jetzt nicht mehr so einfach verwerten lässt.

Das heißt, dass man die Universität durchaus als eine Institution begreifen kann, die innerhalb des Kapitalismus eine systemstützende Funktion erfüllt, ohne gleich leugnen zu müssen, dass in ihr Inhalte vermittelt und Gedanken gedacht werden können, die nicht einfach in dieser Funktion aufgehen. Dass es sich dabei um ein kalkuliertes Risiko handelt, bedeutet auch nicht per se, dass letztlich alles, was an der Uni passiert, doch wieder vom System einholbar ist. Die Angst der Herrschenden ab den 60er Jahren, dass an den Universitäten gesellschaftliche Kräfte brüteten, die zu einer echten Gefahr für die herrschende Ordnung werden könnten, war zwar übertrieben, aber real. Auch vor diesem Hintergrund muss man z.B. die Bologna-Reform bewerten. Zwar ist das vorrangige Ziel der neusten Uni-Reformen vor allem das, der Privatwirtschaft Ausbildungskosten zu ersparen und neue Märkte zu eröffnen, doch es geht auch um eine Minimierung der Gefahr der politischen Radikalisierung an den Unis. Zumindest kann man konstatieren, dass 50-seitige Studienordnungen, dutzende Zwischenprüfungen und das ECTS-System genau diesen Effekt haben. Hieraus könnte man für eine linke Strategie an den Hochschulen ableiten, dass es einerseits darum geht, für mehr Spielraum im Studium, für mehr nonkonformistische Lehre und Forschung zu kämpfen, und andererseits mit den existierenden Freiräumen so zu arbeiten, dass diese sich als möglichst unvorteilhaft fürs Kapital erweisen, sodass dessen Rechnung dabei möglichst schlecht aufgeht. Kurz: Es geht darum, die Widersprüche, durch die Universität und Bildung geprägt sind, so zu nutzen, dass möglichst viel von dem entsteht, was aus Sicht der kapitalistischen Verwertbarkeit Taugenichtse sind, also Menschen, die nicht mehr oder nur noch bedingt im Sinne des Systems funktionieren. Gleichzeitig muss es auch das Ziel sein, dass deren Widerständigkeit eine bewusste, aufgeklärte und solidarische ist und keine destruktive, ressentimentgeladene und vereinzelte. Man könnte auch sagen, es gelte nach wie vor der ureigensten Aufgabe der Philosophie nachzugehen, nämlich die Jugend zu ruinieren.6

Mit diesen Überlegungen vor Augen muss man sich auch nicht mehr irritieren lassen, sollten die eigenen hochschulpolitischen Forderungen und Vorstellungen an einigen Punkten mit jenen von Vertreter*innen der Wirtschaft oder konservativen Professor*innen konvergieren. Wer aus diesen Übereinstimmungen ohne Umstände auch eine Übereinstimmung im Geiste ableitet – und das passiert des Öfteren – dessen Analyse bleibt oberflächlich. Außerdem erscheinen nun auch eher unscheinbare, kleine Veränderungen als potentiell bedeutsam. Für mehr studentische Seminare oder für eine kritische Professorin auf dem Lehrstuhl für deutschen Idealismus zu streiten, heißt eben nicht notwendig, sich bloß um mehr Verdienstmöglichkeiten für Studis oder um mehr Renommee für das eigene Institut zu sorgen. Man kann dies auch im Kontext der Frage nach dem möglichst reibungslosen – oder eben nicht reibungslosen – Ablauf der »Reproduktion der Produktionsverhältnisse« sehen, also der Frage danach, ob der ganze Mist so weiter geht oder ob sich etwas ändert. Anstatt in den Tenor derjenigen Kritik einzustimmen, die studentische Proteste und hochschulpolitisches Engagement gerne pauschal als partikulare Klientelpolitik abtut, sollte man mehr Theoriearbeit in die Frage stecken, was ein kritischer Dozent, was eine Klausur mehr oder weniger, was anrechenbare Lesekreise, was die kritischen Orientierungswochen, was ein studentisch organisierter Universitätsraum eigentlich mit dem »Ganzen« zu tun hat.

Glücklicherweise handeln diejenigen, die sich in der Uni politisch engagieren, in aller Regel bereits nach dieser Maxime. Dennoch könnte der Versuch intensiviert werden, eine breiter angelegte Strategie zu verfolgen, die die verschiedenen Ebenen, auf denen emanzipatorische Kräfte auf die Uni einwirken können – Fachschaften, ASten, Hochschulgruppen, Unigremien, Besetzungen, kritische Dozent*innen – besser miteinander vernetzt und koordiniert. Gut orchestrierte Aktionen könnten so eine große Wirksamkeit entfalten. Dafür bräuchte es aber ein anderes, ein aktualisiertes Verständnis der Universität. Man könnte zudem noch mehr die Frage danach in den Blick nehmen, mit welchen Inhalten die Studierenden im Laufe ihres Studiums konfrontiert werden, um einen gezielten Einfluss darauf zu nehmen. Wichtig wäre es auch, die Studierenden dazu zu befähigen, selbstbestimmt mit ihrer Studienordnung und den Spielräumen, die in der Uni existieren, umzugehen. Diese Vorschläge bleiben improvisiert, können aber hoffentlich einmal durch weitere Diskussionen – nicht zuletzt angestoßen durch die HUch – weitergedacht werden.

Noch einiges mehr bleibt vorerst unausgesprochen oder unterbestimmt. Es fehlt etwa eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Begriff der Bildung. Die Schwierigkeiten einer politischen Strategie, die man, in Anlehnung an Adorno, eine »Wendung aufs Subjekt«7 nennen könnte, wurden kaum diskutiert, die bildungspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre nicht hinreichend dargestellt. Die Bedeutung der Universitäten auch für die materielle Reproduktion der Linken wurde nicht dargelegt. Dieser Text endet jedoch mit der Hoffnung, dass diese Lücken als Einladung zur konstruktiven Diskussion empfunden und auch angenommen werden. Das Thema – die Universität als Ort politischer Auseinandersetzung mit ganz besonderen Bedingungen – ist zu wichtig, um nicht erneut ausführlich diskutiert zu werden. Wir sollten uns dabei nicht von mittlerweile überkommenen Vorurteilen gegenüber linker Hochschulpolitik oder einer allzu einseitigen Sicht auf die Universität hemmen lassen.

Da heißt es etwa im Vorwort: »Die Hochschule als Teil der Gesellschaft kann sich der Alternative unserer historischen Lage nicht entziehen. Entweder wirkt sie mit an der dynamischen Weiterentwicklung zur sozialen Demokratie und der Demokratisierung der Gesellschaft, oder sie wird Instrument in einer Entwicklung zu autoritären Gesellschaftsformen. Im zweiten Fall müßte sie vollends den ihr eigenen Anspruch der Aufklärung aufgeben: Mündigkeit und Selbstbestimmung der Menschen in einer vernünftigen, freien Gesellschaft zu verwirklichen.«

Siehe hierzu auch den Text »Im Modus der Modulationen« von Gerald Raunig, der in der letzten Huch abgedruckt wurde.

Diese zugespitzten Gegenüberstellungen sind natürlich tendenziell falsch. Eher, als dass sich die hier geschilderten Ansichten einzelnen Menschen oder Gruppen zuordnen lassen, sind sie Teil eines inneren Konflikts, den die meisten von uns austragen, die sich kritisch mit ihrem politischem Engagement und ihrem privilegiertem Status als Student*in auseinandersetzen. Ziel des Textes ist es daher auch weniger einen Konflikt zu beschwören, den es so evtl. gar nicht gibt, sondern vielmehr die hoffnungsvolle und idealistische Zweitsemester*, die wir alle mal waren, mit der resignierten Materialist*in, zu der viele von uns geworden sind, ein Stück weit miteinander zu versöhnen.

Wir folgen in diesem Abschnitt Althussers berühmtem Text »Ideologie und ideologische Staatsapparate«.

Heute könnte man die Bedeutung der Schule für die Reproduktion der Produktionsverhältnisse noch weitaus größer einschätzen als zu Althussers Zeiten. Durch frühkindliche Förderung, Vorschule und den neuen kategorischen Imperativ des »lebenslangen Lernens« verbringt man nicht mehr nur die Kindheit, Jugend und evtl. das frühe Erwachsenenalter in der Schule, sondern man kann sich an den Eintritt in sie gar nicht mehr erinnern und man wird sie auch nie wieder verlassen.

Inwieweit sich der Standpunkt der Produktion und der der Reproduktion komplementär, bzw. konträr zueinander verhalten, können wir hier nicht im Detail klären. Deutlich soll jedoch werden, dass die Sache mit der »herrschenden Ideologie« und ihrer Implementierung noch etwas komplizierter ist als gedacht und dass dabei wieder einmal die Bildungsinstitutionen, insbesondere die Universitäten, eine besondere Rolle spielen.

Wir folgen hier weitestgehend den Argumenten von Emanuel Kapinger und Thomas Sablowski, dargelegt in ihrem Text »Bildung und Wissenschaft im Kapitalismus« veröffentlicht in dem Sammelband »Was passiert?« der Buchreihe »Unbedingte Universitäten«, die von einem Münchener Kollektiv ins Leben gerufen wurde, welches sich während der Uni-Besetzungs-Welle im Jahr 2009 gebildet hat. Alle Veröffentlichungen der Reihe sind sehr zu empfehlen.

Was jüngst noch einmal von Slavoj Žižek ein seinem Artikel »Nur ein Sokrates kann uns retten« für die NZZ bekräftigt wurde.

Diese Formel benutzt Adorno in dem Rundfunkbeitrag »Erziehung nach Auschwitz« von 1966. Da er nicht glaubt, dass man viel an den objektiven Bedingungen für einen möglichen, erneuten Rückfall in die Barbarei ändern kann, sieht er es als die einzige verbliebene Option an, beim Subjekt anzusetzen, mit den Mitteln der Erziehung zu verhindern, dass Menschen wieder zu Tätern werden. Seine Diagnose ist auch heute noch bedenkenswert.