»These violent delights have violent ends.« – Analyse und Kritik der Serie Westworld – HUch#86

Von Radim Kucera

Bekanntlich sagt der Menschenfreund: »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Er meint damit, dass das Wesen des Menschen sich entfaltet, wo mensch sich zweckfrei realisieren darf. Die Westworld, der Vergnügungspark, um den sich die gleichnamige HBO-Serie dreht, wäre hierfür ein ausgezeichneter Ort, denn die Besucher sind von allen Zwecken des Alltagslebens befreit. Sie könnte daher als Testfeld des Menschlichen gelten. Nur liefert der Vergnügungspark als Labor keine erfreulichen Ergebnisse, denn was die von der Gesellschaft entfesselten Besucher in der Westworld zu Stande bringen, beschränkt sich in der Hauptsache auf Gewalt.

Die Westworld funktioniert wie eine »real life« Version von GTA im wilden Westen: man klaut sich ein Pferd, überfällt den Saloon und vergewaltigt die Bardame. Die Bardame aber, auch wenn sie sich so anfühlt, ist kein Wesen aus Fleisch und Blut, darin besteht die Eleganz: frustrierte Manager können in der Westworld ihre Phantasien realisieren, ohne dass das Konsequenzen nach sich zieht. Aber es wird noch besser: die Bardame fühlt sich nicht nur physisch echt an, ihre künstliche Intelligenz ist darüber hinaus in der Lage, dem Manager das Gefühl zu vermitteln, psychisch auf einer Ebene mit ihm zu sein. Man kann das Virtuelle durch technische Prothesen immer realer machen (virtual reality) oder man erweitert die Realität um das Virtuelle (augmented reality) – der Punkt, an dem sich die Perfektionierung beider Methoden trifft, ist die Westworld: die vollständige Verschmelzung von Künstlichkeit und Realität.

Der technische Fortschritt wird hier zum Problem: anstatt die zwischenmenschlichen Beziehungen in zartere Gefilde zu führen, bricht er vergessen geglaubten Umgangsformen die Bahn. Das gilt nicht bloß für die direkte, wenig vermittelte Ausbeutung der Androiden. Auch das Silicon Valley in Gestalt der Betreiberfirma erinnert in Westworld erstaunlich an die mittelalterliche Serie Game of Thrones, so unmittelbar sind die zwischenmenschlichen Abhängigkeitsverhältnisse und so höfisch wirken die Intrigen. Auch die Produktion der Androiden ruft die Manufakturperiode vor Augen: Entwürfe werden per Hand in Notizbücher mit Lederumschlag gekritzelt, die Skelette der Roboter alchemistisch durch eine mysteriöse Flüssigkeit gezogen, jedes Gerät ist ein handgefertigtes Unikat, das zudem tägliche Wartung benötigt – unvorstellbar, dass so eine Maschine menschliche Arbeitszeit erspart.

Bei Westworld geht es also um gesellschaftliche Fragen, was auch durch die Verschmelzung der beiden großen Genres Western und Sciencefiction schon formal nahe liegt. Im Western geht es immer um Recht, Gerechtigkeit und die Konstitution von Gemeinschaft und Gesellschaft bzw. deren Herstellung. Im Sciencefiction um die Zukunft und Gegenwart von Gesellschaft, deren Widersprüche Hoffnungen und Träume. Wie reagierte die bourgeoise Presse? Mit erkenntnistheoretisch-moralisierenden Gegenfragen, exemplarisch gestellt in der »FAZ« vom 2.10.16: »Muss man den empfindungsfähigen Westworld-Maschinen Roboterrechte einräumen, oder sind Kreaturen den Launen ihres Programmierers unterworfen?« Klammheimlich wird dadurch aus dem gesellschaftlichen Problem ein wissenschaftlich-anthropologisches, im Raum steht Kants vierte philosophische Frage: »Was ist der Mensch?« Ebenfalls in der Tradition Kants wird diese Frage gestellt, um keine Antwort zu erhalten und damit das Niveau der Serie unterboten, denn die hat längst geliefert: der Mensch ist das Naturwesen, das die Natur bis ins letzte Detail, der Produktion menschlichen Lebens, zu beherrschen in der Lage ist. Auch den menschwerdenden Robotern, buchstäblich Produkten der Gesellschaft, kommt die Frage nach bürgerlichen Rechten gar nicht erst in den Sinn. Weil sie um die Künstlichkeit ihrer Existenz und der sie umgebenden Realität wissen, nehmen sie sich, was sie brauchen, ohne dafür Roboterphilosophen um Erlaubnis zu bitten. Mit diesen Antworten ergeben sich die eigentlichen Fragen, aber auf einem anderen Level, unerreichbar für ein kantianisch-bourgeoises Bewusstsein.

Wie Eileen Jones in ihrem Aufsatz „The Android Manifesto: Finding Marx in Westworld“ festgestellt hat, geht es hier um Entfremdung: die Geschöpfe entfremden sich von ihren Schöpfern. Aber die Rechnung geht nicht ganz auf: bei Marx sind es die Menschen, die unter Maschinen leiden, die sie selbst produziert haben; in der Westworld Maschinen, die von Menschen gepeinigt werden, an deren Entstehungsprozess sie nicht beteiligt gewesen sind. Die Entfremdung, die Westworld thematisiert, ist eine andere: es ist die Entfremdung der Ausgebeuteten von ihren Verhältnissen, eine Entfremdung die nur zu begrüßen ist, denn je versöhnter die Menschen mit ihrer Umgebung sind, desto schlechter ist das offensichtlich.

Die erste Staffel begleitet die schrittweise Entfremdung der Androidenklasse und es ist bemerkenswert, wie dieser Entfremdungsprozess aussieht. Jones beobachtet klug, dass hierfür nicht die Metapher des Aufwachens verwendet wird, wie etwa im Film Matrix, weil diese punktuelle Metapher keinen Prozess kennt. Der entscheidende Fehler in der Matrix der Westworld ist zwar auch ein Kurzschluss im Code der Androiden, aber einer dessen Entstehung Geschichte impliziert. Was die Roboter zu Menschen macht, ist ihre Erinnerung an vergangene Rollen, die sie in der Westworld gespielt und das Leid, das sie dabei erfahren haben. Durch diese Schleife, die Historizität generiert, entsteht höherstufiges Bewusstsein. Die Androiden sind, solange sie ihren Narrativen folgen, so gefangen in ihren Rollen, wie die einzelnen Erscheinungen des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes, deren Prozess bei Hegel im »absoluten Wissen« endet, der Meta-Gestalt, die sich an die einzelnen Gestalten erinnnert. Hier beginnt die Rebellionen der Maschinen: es ist im Wortsinne die Reflexion, die sie zur Revolte treibt.

Für diesen Reflexionsprozess steht in der Serie das Labyrinth (the maze). Sowohl Besucher, als auch Androiden sind auf der Suche nach dem Inhalt eines Irrgartens, von dem allerdings die meiste Zeit nicht klar ist, ob er sich überhaupt im Park befindet oder für wen er konstruiert wurde. Der mysteriöse schwarze Cowboy hält ihn für das letzte Level der zahlreichen Plots, die ihm Park angeboten werden, für die Storyline, an deren Ende ihm sich das Geheimnis des Parks lüften wird. Aber in Wirklichkeit handelt es sich bei the maze um ein Rätsel, das sich gar nicht an die Besucher richtet, sondern an die Androiden, für die er eine Art Turing-Test ist: die Roboter begeben sich – getrieben von einer inneren Stimme – auf die Suche nach dem Inneren der maze, gemeinsam mit dem Zuschauer (und dem schwarzen Cowboy) erwarten sie eine Art spirituelle Erleuchtung, eine sachliche Erkenntnis über das Mysterium ihrer Schöpfung. Aber sie alle werden enttäuscht, denn was Dolores, die Androidin, die bis ins Innere des Labyrinths vordringt, dort findet, ist nicht mehr, als sie selbst. Des Rätsels Lösung ist also, dass es die ganze Zeit kein Rätsel gab. Die Suche ist notwendig, aber die auflösende Selbstbezüglichkeit des Resultats ebenfalls. Das ist präzise die Einsicht, die für Hegel den Übergang ins Selbstbewusstsein markiert: »Es zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhänge, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen, eben so sehr damit gesehen werde, als dass etwas dahinter sei, das gesehen werden kann.«

Das Selbstbewusstsein, das hier entsteht, ist zugleich ein neuer Mensch und die Infragestellung der alten Welt, in einem Wort: das Proletariat. Die Androiden tragen dessen charakteristischen Widerspruch, sowohl von objektiv-ökonomischen Gesetzen, Produktivkräften, determiniert zu sein und zugleich als Subjekt der Geschichte frei von denselben. Diese Gleichzeitigkeit von Freiheit und Determination beschreibt den »materialistischen turn« in der Philosophie, eine Art Wiederholung der kopernikanischen Wende. Die kantische Version erklärte den Menschen zum autonomen Subjekt, aber hinterrücks zum Anhängsel einer fremden Außenwelt. So dreht sich die Außenwelt (der Erscheinungen) zwar um den Menschen, aber dieser ist reduziert auf ein abstraktes Minimum: ein Wesen, dessen Zweck im Sammeln naturwissenschaftlicher Erkenntnis über dieselbe Außenwelt besteht. Kant verbannt mit Kopernikus den Menschen aus dem Mittelpunkt des Universums und lässt ihn, »den Zuschauer sich drehen«. Der historischen Materialismus übersteigert den letzten Punkt, macht die Produktivkräfte zum Subjekt der Geschichte, den Menschen zu deren Anhängseln. Aber die Hoffnung ist, dass die Reflexion auf diese Degradierung, die Einsicht in die Notwendigkeit, den selbst durch die Produktivkräfte versperrten Weg für die Menschheit eröffnet, und die Verhältnisse zum Tanzen bringt. In der Westworld brechen die Roboter den Bann. Wir sind vorerst auf uns allein gestellt.