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Nach Raumentzug: Offener Brief an das Präsidium der HU

Der Offene Brief wurde am 04.12.2013 mit insgesamt 108 Unterschriften versendet!

Unser Offener Brief als PDF-Version.

Humboldt-Universität zu Berlin
Sandra Westerburg
Leiterin des Präsidialbereichs und
Beauftragte für Beschwerden nach
dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Offener Brief

Sehr geehrte Frau Westerburg,

im Juli 2013 gründete sich in der Verfassten Studierendenschaft (VS) an der Humboldt-Universität zu Berlin erstmals ein Referat für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter, das LGBTI-Referat. Seit Oktober werden regelmäßig Veranstaltungen durchgeführt, welche die Selbstorganisierung, Weiterbildung, das Kennenlernen und die Vertretung der Interessen von LGBTI-Studierenden an der HU unterstützen sollen. Am 9.11.2013 sollte eine Veranstaltung zu Grundlagen der Geschichte und politischer Dimension von BDSM stattfinden, die im Rahmen eines Bondage-Workshops einen respektvollen Umgang unter LGBTI-Studierenden fördern sollte. Am 6.11.2013 sandten Sie einen Brief an den RefRat (gesetzl. AStA), in dem es hieß, dass Sie „bei allem Respekt vor allen friedlichen Vorlieben“ für solcherlei Veranstaltungen Universitätsräume nicht mietzinsfrei zur Verfügung stellen könnten. Nach einem Briefwechsel, in dem Sie über den Nutzen eines solchen Workshops für Studierende und die Einbettung von BDSM und Bondage in die Wissenschaftsgeschichte, unter anderem der Gender Studies, informiert wurden, behaupteten Sie, dass kein besonderes Interesse „nicht heterosexuell veranlagter Menschen“ an unserer Veranstaltung vorläge. Auch bezüglich unseres Drag-Workshops, der für den 14.12.2013 geplant ist, heißt es von Ihnen, dass Sie „am hochschulpolitischen Gehalt“ zweifeln und den Zusammenhang von Drag und „wissenschaftlicher Auseinandersetzung bzw. sozialer Selbsthilfe für die Studierenden“ nicht erkennen können. Schließlich erhielt der RefRat von Sylvia Bork, Gruppenleiterin der Gebäudedienste, eine E-Mail, in der sie für den Semestertresen am 14.11.2013 - der einen Raum zum Kennenlernen und Vernetzen für LGBTI-Studierende bieten sollte - plötzlich sicherheitstechnische Auflagen mitteilte, die für den von uns genutzten, selbstverwalteten Raum zu der geplanten Zeit schlicht nicht gelten und die für andere vergleichbare Veranstaltungen in der Vergangenheit nie an uns herangetragen wurden.

Diese plötzliche Kontrolle von Veranstaltungen und das strenge und willkürlich erscheinende inhaltliche Bemessen, welche Veranstaltungen studentischen Bezug hätten und welche nicht, was für LGBTI-Studierende von Belang sei und was nicht, entspringt einem uns nicht nachvollziehbaren Maßstab. Bemerkenswert dabei ist, dass Sie sich kurz nachdem es das erste Mal eine institutionalisierte studentische Interessenvertretung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter an der HU gibt, dergestalt für den Entzug der Raumnutzung einsetzen und den hochschulpolitischen wie studentischen Bezug anzweifeln, während der gleiche Maßstab bei der Raumnutzung von studentischen Rollenspielgruppen, einem Schachclub, dem eigenen Orchester der HU oder eines Gottesdienstes zur Semestereröffnung nicht angelegt wird. Hier scheinen deutliche Wertvorstellungen darüber wirkmächtig zu werden, was an einer Universität Platz findet und was nicht, was inkludiert oder exkludiert wird.

Der interessenbasierte Zusammenschluss Studierender und dessen Unterstützung durch die VS ist üblich und vorgesehen und hat alleine, da er an der Hochschule geschieht sowie von Studierenden für Studierende organisiert wird, einen Hochschulbezug (vgl. auch VG Trier, 2 L 1471104.TR). Weshalb werden ein Semestertresen für LGBTI, ein Bondage- sowie ein Drag-Workshop also dergestalt von Seiten des Präsidialbereichs sowie des Verwaltungsapparats der HU angegriffen? Was keinen Platz an der Universität finden soll, scheint nicht willkürlich festgelegt zu werden, sondern spiegelt das politische Selbstverständnis der verantworlichen Personen, ihre Positionierung und Auseinandersetzungsprozesse mit Antidiskriminierungsstandards wider. Nur so lässt sich auch Ihr Gebrauch des nicht nur antiquierten, sondern darüber hinaus aus Perspektive der Antidiskriminierung – Ihr Metier und Ihre Verantwortung – höchst problematischen Begriffs der „Veranlagung“ erklären.

Das plötzliche, vehemente Vorgehen gegen neue und selbstorganisierte Strukturen für LGBTI-Studierende ist mit Ihrer Stellung als Beauftragte für Beschwerden nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie als Leiterin des Präsidialbereichs unserer Ansicht nach nicht vereinbar. Bei unseren Veranstaltungen machen wir LGBTI-Kultur an der Universität sichtbar, ermöglichen es, Kontakte zu knüpfen und sich weiterzubilden. Positionen, die sonst gesellschaftlich marginalisiert werden, können sich hier Gehör verschaffen, austauschen und aus einer diskriminierten Position empowern. Dass dies nicht in Ihrem Sinne ist, lässt uns staunen. Wir fordern hier ein sofortiges Umdenken und die Einsicht, dass LGBTI auch an der HU Räume für ihre vielfältigen Veranstaltungen zur Verfügung stehen müssen. Vielfalt an der Universität sollte nicht verhindert, sondern gefördert werden.

Während theoretisch orientierte Vortragsveranstaltungen bislang auf keine negative Reaktion Ihrerseits trafen, ist dies nun ausgerechnet bei jenen Veranstaltungen der Fall, die einen lebensweltlichen Bezug herstellen und damit direkt mit dem Leben und Alltag LGBTI-Studierender in Verbindung stehen. Ihre Formulierung legt nahe, dass Sie Anschlusspunkte jenseits der traditionellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung als soziale und kulturelle Belange für LGBTI aberkennen. In diesem Sinne positionieren Sie sich gemeinsam mit der Technischen Abteilung gegen die VS und gleichzeitig gegen bereits etablierte Wissenschaftsdisziplinen. Bondage und BDSM, genauso wie Drag, sind zentraler Bestandteil von LGBTI-Geschichte und -Kultur und als solche fest eingebunden in die Wissenschaftsgeschichte der Gender Studies. Dort finden regelmäßig wissenschaftliche und Aufklärungsveranstaltungen zu Konzepten von „Perversion“ und „Normalität“ statt, die den marginalisierenden Umgang mit sexueller Devianz in das Zentrum ihrer Kritik stellen. Sowohl die Frauen- wie auch die Schwulenbewegung - welche nicht zuletzt in den Gender Studies, der Europäischen Ethnologie, der Kulturwissenschaft, der Amerikanistik sowie der Geschichtswissenschaft intensiv behandelt werden und zentral zur Wissenschaftsgeschichte der Humboldt Universität gehören - weisen jahrzehntelange Auseinandersetzungen mit BDSM auf. Man denke dabei an die Sex Wars in der Frauenbewegung oder Auseinandersetzungen zu Lederbars zwischen radikalen und integrationistischen Schwulen in den 1970er und 1980er Jahren.

 

Durch die Verweigerung der Räume mit der Begründung, bei Bondage oder Drag gäbe es keinen Hochschulbezug, diskreditieren Sie einen Teil der Lehre an der HU und die wissenschaftliche Tätigkeit zahlreicher - auch DFG-geförderter - Forschungsprojekte und Forscher_innen, zu denen auch Lehrbeauftragte und Professor_innen an der HU gehören.

Sie haben mehrfach betont, dass die Arbeit zu LGBTI-Themen und die Durchführung entsprechender Workshops „in Berlin!“ nicht marginalisiert seien. Die Frage, aus welcher persönlichen Position heraus Sie eine solche Äußerung treffen, erübrigt sich. In Berlin geschehen tagtäglich homo- und transphobe Übergriffe, nur wenige geraten medial an die Öffentlichkeit. Es gibt dennoch zahlreiche Beispiele, deren Berichterstattung leicht zugänglich ist, die zeigen, dass mitten in Berlin und in Stadtteilen, die sich besonders durch LGBTI-Sichtbarkeit auszeichnen, homo- und transphobe Gewalt geschieht. Die Notwendigkeit der Arbeit von Initiativen wie „Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“, „LesMigras“ oder „GLADT“ liegt genau darin begründet.

Es gibt nur wenige kulturelle und politische Angebote an der HU für LGBTI, die zur Vernetzung und gegen Diskriminierung arbeiten. Ihre Haltung zu der Arbeit des LGBTI-Referats verkennt die Lebensrealität zahlreicher Studierender, von denen sich bereits nach wenigen Monaten eine große Anzahl bei dem Referat melden. Es muss Anliegen aller Studierender, ja der gesamten Hochschule sein, dass LGBTI an der HU möglichst sicher und frei studieren können – entsprechend ist dies auch eine Aufgabe der VS. Und es sollte die Aufgabe der Beauftragten für Beschwerden nach dem AGG sein, dies zu unterstützen und nicht, dies zu verhindern.

In diesem Sinne fordern wir Sie dazu auf, Ihre Politik der Raumvergabe hin zu einer Öffnung für die Veranstaltungen des LGBTI-Referates und der Verfassten Studierenschaft insgesamt zu verändern und sich im Sinne Ihres Amtes umfassend mit LGBTI-Themen vertraut zu machen. Wir fordern darüber hinaus die Schaffung einer Stelle an der HU, die in der Lage ist, Mitarbeiter_innen, Student_innen und Lehrenden eine wirkungsvolle Unterstützung im Falle trans- und homosexuellenfeindlicher sowie rassistischer und sexistischer Diskriminierungen zu bieten.

Mit freundlichen Grüßen,

LGBTI-Referat
im Namen des Referent_innenRates an der Humboldt-Universität zu Berlin

Unterzeichner_innen:

  • LGBTI-Referat im Referent_innenRat an der Humboldt-Universität zu Berlin

  • Referent_innenRat an der Humboldt-Universität zu Berlin

  • Prof. Dr. Dr. h.c. Stefanie v. Schnurbein, Humboldt-Universität, Nordeuropa-Institut

  • Dr. Ulrike Klöppel, Zentrum transdisziplinäre Geschlechterforschung

  • Dr. phil. Andreas Heilmann, Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität

  • Prof. Dr. Martin Lücke, Freie Universität Berlin

  • Dr. Michael Frey, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

  • Dr. Uta Schirmer, AG Geschlechterforschung an der Georg-August-Universität Göttingen

  • Dagmar Filter – Leiterin Hochschulübergreifendes Zentrum GenderWissen Hamburg

  • Dr. Klaus Lederer, MdA

  • Carsten Schatz, MdA

  • Bodo Niendel, Referent für queerpolitik Bundestagsfraktion DIE LINKE, Vorstand Berliner CSD e.V.

  • Dr. phil. Emiliano Corazza

  • Erik Marquardt, politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen Jugend

  • Dr. Dirk Sander, Referent Deutsche AIDS-Hilfe e.V.

  • Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD e.V.), Bundesverband

  • Bundeskonferenz der schwulen, schwullesbischen und queeren Referate und Hochschulgruppen

  • Andreas Paruszewski, Präventionsnetzwerk "SVeN - Schwule Vielfalt erregt Niedersachsen"

  • TransInterQueer e.V.

  • Lambda Berlin-Brandenburg e.V.

  • StandUp, Antidiskriminierungsprojekt der Schwulenberatung Berlin

  • Vorstand der Agentur für Bildung

  • Wigstöckel e.V.

  • SchwuZ

  • Südblock

  • Autonomes Schwulenreferat im AStA der FU Berlin

  • QueerReferat des AStA der Alice Salomon Hochschule Berlin

  • Ronny Matthes, Vorsitzender des AStA FU Berlin

  • Referat für Bildungspolitik der TU Berlin

  • Queer-Referat AStA TU Berlin

  • Frauen*-Referat AStA TU Berlin

  • Mathias Bartelt, AS-Mitglied FU Berlin

  • Ole Schmitter, Co-Referent der Queeren Hochschulgruppe der TU Berlin

  • Daniela Rohrlack, Mitglied der Haushaltskommission HU Berlin, Mitglied des Studierendenparlamentes HU Berlin

  • Dr. Franz-Josef Schmitt, Berlin Institute of Technology

  • Moheb Shafaqyar, Fachschaftsrat Jura HU Berlin

  • Fachschaft des Sozialwissenschaftlichen Instituts an der HU Berlin

  • Mutvilla_Gender Studies* Stupa Liste, HU Berlin

  • OLKS, Offene Liste Kritischer Studierender im Stupa der HU Berlin

  • AStA der Freien Universität Berlin

  • AStA der TU Darmstadt

  • AStA der TU München

  • AStA der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  • Autonomes Schwulenreferat der Ruhr-Universität Bochum

  • Autonomes Schwulenreferat im AStA der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  • Referat für Lesben und andere Frauen im AStA der Uni Osnabrück

  • Queere Hochschulgruppe Tübingen

  • Autonomes Schwulenreferat des AStA Marburg

  • Queer Referat im AStA der TU Darmstadt

  • AG Schwule und Lesben des Studierendenrats der TU Dresden

  • Queer Referat des AStA der Universität des Saarlandes

  • Autonomes Schwulenreferat Kassel

  • Queer-Referat der StuVe der LMU München

  • AStA-Referat für politische Bildung EH Darmstadt

  • Rosa Liste an der Universität zu Köln

  • Referat für Wissenschaftskontroverse & Diversity im AStA der Uni Köln

  • Subversiv-Perverse Aktion

  • Das Kollektiv des QueerRiotClub Berlin

  • Marxistisch Luhmannistische Bildungsbrigade – MLBb, im Stupa der TU Berlin

  • Tobias Roßmann, stellvertretender Vorsitzender des Konzils der HU

  • Sascha Watermann, ehemaliger Vorsitzender der LSK des Akademischen Senats der HU

  • Alice Blum, Studentische Vertretung der Frauenkommission der FH Frankfurt

  • Olenka Bordo, Sozialwissenschaftlerin, Externe Evaluatorin zum Berliner Bildungsprogramm, Schwerpunkte: Mehrsprachigkeit, Diversity, Gender, Inklusion, Identität, Migration, Anti-Diskriminierung, alle acht Aufgabenbereiche des BBP

  • Benedikt Wolf, M.A.

  • Sébastien Tremblay, M.A.

  • Patrick Henze, M.A.

  • Alpay Yalcin, M.A.

  • Wolfgang Theis

  • Diana Schellenberg, Dipl.-Psych.

  • Edward Ott - LGF HU

  • LCavaliero Fridel Wildroserich

  • Daniel Bache

  • Carolin Szabo

  • Muriel Aichberger

  • Niklas Walendy

  • Nora Huberty

  • Simon Schultz von Dratzig

  • Matthias Busch

  • Tamara Oyola-Santiago

  • Matthias Geisler, AS Mitglied HU

  • Christoph Hartmann

  • Philipp Bahrt

  • Maurice Silva

  • Cindy Ballaschk

  • Isabelle Windhorst

  • Anne Wiegmann

  • Heiner Schulze

  • Silvia Halpap

  • Chris Spurgat

  • Johannes Borda Aquino

  • Urs Gamsavar

  • Kai Schmid

  • Antonia Radüg

  • Daniel Grimm

  • Patrick Wielowiejski

  • Kristof Kietzmann

  • Franziska Seeck

  • Lukas Schliephake

  • Tina Böhmer

  • Nina Blasse, Universität Flensburg

  • Andrea Knaut, Berlin

  • Rona Torenz

  • Till Ruben Hallermann

  • Jörg Holetschek

  • Denise Henschel, FU Berlin

  • Lena Linke

  • Coco Paul, Berlin

  • Diviam Hoffmann

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  • erstellt:19.11.13, 16:25
  • geändert:01.04.14, 00:04