Sexualisierte Belästigung an der Hochschule

    Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen?!

    von Hannah Blum

    +++ Sexualisierte Belästigung an der Hochschule ist, wie alle Formen von sexualisierter Gewalt in gesellschaftlichen Räumen, ein Thema, das aufgeladen ist mit Klischees und Fehlvorstellungen. Dieser Artikel verfolgt das Anliegen einige dieser Klischees radikal in Frage zu stellen und andere Sichtweisen aufzuzeigen. +++

    Das Thema sexualisierte Gewalt an der Hochschule beschäftigt mich im Rahmen meiner Arbeit als frauenpolitische Studierendenvertreterin schon seit Jahren. Schon als Frauenreferentin des AStA der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz wurde ich mit dem Thema konfrontiert, als die Frauenbeauftragte der Universität eine Antidiskriminierungs-Richtlinie gegen sexualisierte Belästigung auch auf den Schutz von Studentinnen ausweiten wollte. Zuvor schützte diese Richtlinie nur Angestellte der Universität. Damals konnte ich in einer Sitzung des akademischen Senats live miterleben, welche Mechanismen das Thema in den Köpfen der Menschen auslöst, an die sich solche Richtlinien richten. So befürchtete ein männliches Senatsmitglied, dass durch eine solche Richtlinie in Zukunft männliche Lehrkräfte reihenweise durch falsche Anschuldigungen bezüglich sexualisierter Gewalt erpresst werden würden. Diese Umkehrung des Täter-Betroffenen-Verhältnisses ist ein gängiger Mechanismus und wird von mir später nochmals aufgegriffen. Zunächst aber einen Schritt zurück.

    Die Behandlung des Themas sexualisierter Gewalt setzt ein paar grundsätzliche Überlegungen voraus. Das fängt schon beim üblichen Sprachgebrauch an. Ich möchte mich daher zunächst zum Begriff der »sexuellen« Gewalt positionieren. Diese gängige – auch juristische - Bezeichnung für sexistische Übergriffe stiftet Verwirrung.

    Sie legt nahe, dass bei tätlichen Übergriffen, verbalisierten Anmachen und anderen möglichen Formen von Belästigung, die auf das Geschlecht oder die Sexualität der belästigten Person Bezug nehmen, die Sexualität zwischen den Beteiligten im Mittelpunkt stehen würde. Das würde dann bedeuten, dass die sexuellen Bedürfnisse und die sexuelle Befriedigung der belästigenden Person für deren Handlung ausschlaggebend sind.

    Auch wenn diese Belästigungen, Gewaltausübungen oder Unterdrückungen häufig über sexuelle Handlungen, Sprüche und Anmachen ausgedrückt werden, wird dadurch aber nicht sexuelle Befriedigung erreicht, sondern Machtverhältnisse geschaffen. Sexualität dient dabei nur als eine Form der Demütigung. Sie ist nicht die Motivation hinter der Handlung, sondern ein Mittel, um die anderen Personen in ihrer Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper anzugreifen und angreifbar zu machen. Warum zu diesem Mittel gegriffen wird, lässt sich nachvollziehen, wenn wir im Blick behalten, welcher Wert der körperlichen Integrität in dieser Gesellschaft beigemessen wird. In diese Integrität einzugreifen bedeutet, Menschen den selbstgewählten Abstand und das Sicherheitsgefühl zu rauben, mit welchem sie anderen Menschen gegenübertreten.

    Eine Alternative ist, das Wort »sexualisiert« anstatt »sexuell« zu verwenden. Damit wird ausgedrückt, dass bei solchem belästigenden/grenzüberschreitenden Verhalten kein Zusammenhang zu »Sexualität im gegenseitigen Einverständnis« besteht. Außerdem wird deutlicher, dass auch andere Vorfälle in den Bereich von sexualisierter Gewalt fallen, die nicht immer gleich als tätliche Übergriffe oder explizit »sexuelle« Handlungen stattgefunden haben müssen. Grenzüberschreitungen können schon auf der verbalen Ebene oder etwa mit anzüglichen Blicken beginnen und können so die gefühlte körperliche Integrität und Sicherheit beeinträchtigen.

    Wenn davon Abstand genommen wird, dass es in Belästigungsfällen um Sexualität, um sexuelle Bedürfnisse geht, kann auch hinterfragt werden, inwiefern besonders Männer »nicht anders könnten«, wenn sie mit weiblichen Studierenden zusammentreffen. Und es kann sich auch distanziert werden von Vorstellungen, dass auch diese in den Vorgang involviert wären: Die Aktualität und Wirkmacht dieser Vorstellung spielt besonders an der Universität eine große Rolle. Die Befürchtung des männlichen akademischen Standes, Frauen würden den Wissenschaftsbetrieb durch ihre Anwesenheit sittlich und moralisch gefährden, war einer der Hauptbedenken, sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium auszusprechen. Insofern sind allgemeine Gedanken zu sexualisierter Gewalt auch brauchbar, um Klischees im Lehrbetrieb aufzubrechen. Es geht nicht um den hilflosen Professor, der wegen seiner sexuellen Triebe der verführerischen Studentin ausgeliefert ist, die sich auf einfachstem Weg gute Noten »erkaufen« möchte. Die Gefahr geht nicht von einer Horde erpresserischer Studentinnen aus, sondern von strukturellen Machtverhältnissen. Es geht um das Ausnutzen von diesen Machtverhältnissen durch den/die in der Hierarchie höher Stehende_n in einer strukturell sexistischen Gesellschaft, nicht umgekehrt. Das heißt, in den hierarchischen Strukturen innerhalb der Universität finden sich Studierende gegenüber ihren Lehrkräften in Abhängigkeitsverhältnissen, vor denen diese zu schützen sind, nicht anders herum. Die betroffene Studentin als (mit-)verantwortlich darzustellen, enthält somit die eingangs erwähnte Gefahr der Umkehrung von Täter-Betroffenen-Verhältnissen.

    Die Befürchtung, dass Studierende ihre Lehrkräfte mit falschen Anschuldigungen erpressen, ist Teil dieser Perspektivenverdrehung. Vielmehr wird die Abhängigkeit Studierender gegenüber ihren Lehrkräften diese in den meisten Fällen eher dazu bringen, den Mund nicht aufzumachen, wenn Belästigungsfälle stattfinden. Sich zu wehren, bedeutet in der Regel gegen eine Wand aus Unverständnis, Vorurteilen, Gegenanschuldigungen und weiteren Beleidigungen anzukämpfen. Wer würde diesen Kampf allen Ernstes auf sich nehmen, wenn gar keine Belästigung stattgefunden hat?! Vielmehr wird durch die Gegenwehr der Betroffenen deren Studium meist verzögert oder gar gefährdet. Das wird die meisten eher davon abbringen, auf Konfrontationskurs zu gehen oder sich in irgendeiner anderen Form zu wehren. Das Problem am Status Quo des Umgangs mit sexualisierter Gewalt, nämlich die Situation zu »ertragen«, ist, dass die belästigende Lehrkraft in ihrem Verhalten bestärkt wird und sexistische Verhältnisse fortgetragen werden. Es stehen insofern auch Interessen weiterer und potenziell Betroffener auf dem Spiel.

    Der sensible Umgang mit der Situation von Betroffenen von Belästigung wird schwer, wenn die aufgezeigten Abhängigkeitsverhältnisse, sexistischen Klischees und Mechanismen nicht mitgedacht und beachtet werden. Jede Betroffene wird überlegen müssen, ob sie den Schritt in die Öffentlichkeit wagt, wenn auf ihre Gegenwehr weitere Anfeindungen und Sexismen folgen. Denn in der Regel wird dem Täter nicht nur Raum gegeben, sondern auch findet seine Sicht der Dinge viel zu großen Eingang in die Diskussion, so sie denn überhaupt stattfindet. Oft fällt es den Umstehenden schwer zu begreifen, dass auch der Professor, der ihnen letztes Semester eine gute Note gegeben hat oder in einer anderen Situtaion hilfreich war, so etwas tun könnte. Vielleicht würde eine Auseinandersetzung damit bedeuten, sich selbst erfahrene oder gar selbst ausgeübte Grenzverletzungen einzugestehen? Wenn Machtverhälnisse in Abhängigkeiten und Geschlechterhierarchien ausgeblendet werden, kann kein angemessener Umgang mit sexualisierter Gewalt gefunden werden. Und jeder unzureichende, die Betroffenen-Perspektive ausblendende Umgang mit sexualisierter Gewalt hilft mit, sexistische Strukturen weiterzutragen.


    Zum Weiterlesen

    re.Action: Antisexismus_reloaded, Unrast-Verlag 2007

    Bußmann/ Lange: Peinlich berührt – Sexuelle Belästigung von Frauen an Hochschulen, Verlag Frauen-offensive 1996.


    • geändert:08.01.09, 20:39